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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0119
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Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt.

n3

wurde ein grosserTheil der altchristlich-mittelalterlichen Typen für heilige Personen durch neue ersetzt
und es verschwinden die im classischen Sinne körperlich schönen Idealgestalten. Die Fortschritte der
bildenden Kunst im Norden im XIII. und XIV. Jahrhundert bestehen in zunehmender physischer und
psychischer Individualisirung der Figuren. Die Bildhauer und Maler sind bis zu einem gewissen Grade
von Anfang an bestrebt, Porträte zu schaffen, d. h. in jeder einzelnen Darstellung, wenn auch nicht
gleich das Bild eines bestimmten Modells, so doch eine bestimmte Situation, eine wenigstens generell
bestimmte Persönlichkeit und sogar einen ganz bestimmten seelischen Affect zu verkörpern. Das ist
ein Weg, auf dem sich die Kunst wie in unseren Tagen von idealen Normen immer weiter entfernte.
Anders in Italien. In Byzanz hatte sich das hellenische und hellenistische Zusammenfassen der Kunst-
errungenschaften in Canones in der Form eines ikonographischen und ästhetischen Dogmatismus immer

Fig. 32. Simone Martini. Christus erscheint dem heil. Martin (Assisi).

erhalten und wurde auf diese Weise auch der Ausgangspunkt der neuen italienischen Malerei. In
Siena, wo die byzantinische Malerei zuerst im Westen im vollen Maasse wieder erlernt wurde, bildet
man gleich bestimmte ideale Typen für die Madonna, für den Christus, für die Engel und für die
Köpfe überhaupt. Die Madonnen des Duccio, des Simone Martini, des Ambrogio Lorenzetti sind aka-
demisch schön und anmuthig. Selbst das dramatische Genie Giottos begnügt sich damit, seinen Per-
sonen eine bestimmte tragische Maske anzulegen. Ein ganzes Jahrhundert lang bestehen die Fort-
schritte des Naturalismus in Italien weit mehr in naturalistischer Ausgestaltung der Composition und
der Raumdarstellung als in der Individualisirung der einzelnen Figuren.

Ein Vergleich der Köpfe und Gestalten auf unserer Abbildung (Fig. 3i) des Theiles einer Zeich-
nung im Louvre, die, wenn auch nicht Beauneveu selbst, wie vermuthet wurde, so doch jedenfalls dem
Kreise der Künstler des Herzogs von Berry angehört,1 mit Köpfen und Gestalten des Simone Martini
auf Abbildung 32 belehrt uns, wie sich die italianisirenden nordfranzösischen Künstler auch in dieser
Beziehung den Italienern angeschlossen haben. Es ist das kein vereinzeltes Beispiel sondern man findet

1 Vgl. über die Zeichnung Durrieu in den Monuments Piot 1896 und Lastairie daselbst 1898.
 
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