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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0125
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Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt.

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Erst durch die Flamländer sei der Naturalismus unter Karl V. in sie eingedrungen. Die Ursache, warum
man an der neuen flämischen Kunst plötzlich Gefallen gefunden habe, wären vor Allem die socialen
Veränderungen gewesen, die sich in dieser Zeit vollzogen haben: »Le vieil art de la feodalite, l'art
francais par excellence, est mort avec la chevalerie.«1

Doch es ist Courajod selbst nicht entgangen, dass die Sculpturen, die Karl V. ausführen liess,
in Frankreich in Bezug auf Stil und Naturalismus nicht ganz vereinzelt sind. »Si nous jetons un
regard sur la province, nous nous apercevrons que d'autres cas se produisent presque contemporaine-
ment. Les moulages du Trocadero ont popularise
les curieuses figures du contrefort de la tour sep-
tentrionale du portail de la cathedrale d'Amiens.
Le debordement de realisme que trahissent ces
figures m'a surpris comme tout le monde, mais il
n'y a pas ä hesiter sur la date de leur execution.
Elles furent sculptees sous Charles V.« Wir wissen
heute, dass die Sculpturen von Amiens unzählige
Verwandte und Ahnen unter den Sculpturen haben,
mit welchen die grossen Kathedralen Frankreichs
geschmückt sind, und dass über den Ursprung des
Stils, aus welchem sie geschaffen wurden, kein
Zweifel herrschen kann. Sie sind als eine Frucht
der normalen progressiven Entwicklung der fran-
zösischen Plastik entstanden und gehören einem
weitverzweigten Stammbaume an, dessen Wurzeln
in Chartres zu suchen sind. Courajod übersah
diesen Sachverhalt nur deshalb, weil für ihn der
Idealismus der älteren gothischen Sculptur in
Frankreich ein Dogma gewesen ist. Eine Wand-
lung in den Kunstabsichten hat sicher nicht statt-
gefunden und die grössere Freiheit in der Natur-
wiedergabe ist nur auf ein grösseres Können Fig. 35, ßie Legende der heil. Margarethe. Glasgemälde
zurückzuführen. Es ist vielleicht kein Zufall, dass in St- Julien-du-Sault.

der erste Bildhauer, der uns als Hof künstler (Gazette des beaux-arts i885, 1, zu pag. i5o.)

Karls V. genannt wird, aus Chartres berufen

wurde. Jedenfalls stimmen die Pariser Sculpturen ganz mit Werken überein, die gleichzeitig in den
Bauhütten der grossen Kathedralen zu Amiens, Reims, Mans und anderswo ausgeführt wurden. Bis in
den Süden: in Alby und an den Grabdenkmälern der Päpste findet man denselben Stil (Fig. 40).

Die Kunst der Bildhauer in den neuen französischen Kunstcentren des XIV. Jahrhunderts ist nicht
neu sondern die unmittelbare Fortsetzung der grossen vorangehenden Entwicklung der
französischen Plastik. Die Sculpturen in Chartres und Reims, in St. Denis, Bourges,
Pierrefond und Dijon bilden eine einheitliche Entwicklungsreihe.

Das ist für unsere Untersuchung deshalb wichtig, weil es einen ähnlichen Verlauf der Entwick-
lung der französischen Malerei im XIV. Jahrhundert vermuthen lässt. Wir wollen, um hier zu einem
Resultate zu kommen, den umgekehrten Weg verfolgen. Die Geschichte der französischen Sculptur
und ihre Bedeutung für die Anfänge der modernen Kunst ist heutzutage wenigstens im Allgemeinen
richtig erkannt und gewürdigt worden. Parallel mit der Entstehung der neuen gothischen Sculptur
entstand in Frankreich eine neue Malerei, nicht minder wichtig für die Festlegung der Bahnen, in die
das Kunstleben im Westen geleitet werden sollte. Diese Quelle einer neuen, von der Antike unab-

1 Une Statue de Philippe VI au Musee du Louvre: Gazette des beaux-arts 1885, p. 217 ff.
 
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