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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0129
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Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt.

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die Modellirung nicht hinaus (Fig. 38). So bleiben die architektonischen Einrahmungen oder die
Hintergrundsarchitekturen wie auch die Ornamente flach und die Musterung des Gewandes wird, wie
bereits einmal gesagt wurde, ohne Berücksichtigung der Falten als eine flache Tapete behandelt. Man
hat nicht die Sculpturen, an die uns die Figuren der frühgothischen Malerei so stark erinnern, nach-
gemalt sondern es liegt der Malerei und Plastik eine und dieselbe psychologische Abstraction zu
Grunde. Für uns sind die die Körperhaftigkeit andeutenden Linien oder Pinselstriche einer lavirten
Zeichnung nur eine Abkürzung des malerischen Ver-
fahrens, in der Malerei des XIII. Jahrhunderts erschöpfen
sie Alles, was der Maler über die Dreidimensionalität der
dargestellten Gegenstände mitzutheilen hatte.

Wenn wir die Weiterentwicklung der französischen
Malerei bis zur Mitte des XIV. Jahrhunderts an der Hand
einer Reihe von datirten oder datirbaren Miniaturen unter-
suchen, finden wir einen ganz analogen Verlauf wie in
der Sculptur. Man war bestrebt, wie in der Plastik, die
einzelnen Figuren naturalistisch durchzubilden, und so
können wir beobachten, wie der Schatz der Erfahrungen
in der naturtreuen Darstellung einzelner plastischer Ob-
jecte von Generation zu Generation in ganz demselben
Grade zunimmt, wie es in der gleichzeitigen Sculptur der
Fall gewesen ist. Vom Maler zum Maler wird die ein-
zelne Figur genauer modellirt und die ursprünglich allein
giltige und mittheilende Umrisszeichnung immer mehr
zurückgedrängt oder, besser gesagt, ausgefüllt. In der Zeit
Karls V. war man so weit, eine völlig naturalistische Por-
trätfigur zu meisseln, und gleichzeitig wird anscheinend
plötzlich in der Malerei, und zwar in den einzelnen Fi-
guren, auch die plastische Erscheinung des dargestellten
Gegenstandes naturalistisch treu wiederholt. Jede der
einzelnen Figuren erscheint als eine vom modernen Maler
genau nachgemalte Statue. Das ist um so merkwürdiger,
weil von einer Raummalerei noch immer keine Rede sein
kann: den Hintergrund schliesst wie früher eine Tapete
ab und die Architektur und das Ornament werden mehr
oder weniger noch immer flach behandelt. Die Bahnen
der darstellenden Kunst wurden nördlich der Alpen im
XIII. und XIV. Jahrhundert durch die Entwicklung der
Sculptur bestimmt. Der angestrebte Zweck und das end-
giltige grosse Resultat war die naturalistisch vollkommen
treue Wiedergabe der einzelnen Gestalt. Eine solche

Darstellung beruht jedoch auf der Möglichkeit eines ganz genauen plastischen Sehens
und Vorstellens und, als das erreicht wurde, musste naturgemäss auch in der Malerei
die einzelne Figur als eine treue Wiederholung einer plastischen Erscheinung auf-
gefasst werden.

Wie in der Sculptur, vollzog sich auch in der Malerei diese Entwicklung in Nordfrankreich. Die
Continuität einer bestimmten technischen und stilistischen Ueberlieferung lässt sich an Werken der
nordfranzösischen Illuminatoren an zahllosen Beispielen darlegen und ist auch bereits oft beob-
achtet worden. Derselben Ueberlieferung, derselben Schule gehören auch noch die Arbeiten an, welche
in Paris unter Karl V. entstanden sind. Ich erinnere nur an das grosse Carton im Louvre, an das

xxn. 17

Fig. 38. Miniatur auf f. 17 des Passionale der Prin-
zessin Kunigunde (Prag, Universitätsbibliothek).
 
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