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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0130
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Max Dvofäk.

Porträt Johanns des Guten in der Nationalbibliothek,1 an die Apokalypse von Angers, für welche die Vor-
zeichnung von dem Hofmaler des Königs Jean de Bandol geliefert wurde, oder an die grosse oft repro-
ducirte Miniatur desselben Meisters in einer Handschrift im Museum Meerman Westhreen zu Haag. Der
Stil dieser Werke lässt sich ausserdem in den illuminirten Handschriften nachweisen, die im Auftrage des
Königs oder für andere Besteller um das Jahr i36o in Paris entstanden sind. Die gesammte mitteleuro-
päische Malerei steht, wie bereits öfters betont wurde, in der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts unter
nordfranzösischem Einflüsse, doch nirgends gelangte man so weit wie in den genannten Arbeiten. Ein

Blick auf das Porträt Johanns des Guten in der
Pariser Nationalbibliothek oder auf dasjenige
Karls V. in der Miniatur des Jean de Bandol be-
lehrt uns, dass die illustrative Umrisszeichnung,
deren Einfluss sonst noch überall beobachtet wer-
den kann, in Nordfrankreich ganz überwunden
wurde und dass man daselbst dazu gelangte, wie
in der gleichzeitigen Plastik, die einzelne Figur
vollkommen naturalistisch mit allen plasti-
schen Werthen in Licht und Schatten dar-
zustellen. Dadurch wurde auf einem langen in-
ductiven Wege, auf Grund von progressiven Er-
fahrungen, die sich auf fast zwei Jahrhunderte
vertheilen, der Uebergang zu einer raumdar-
stellenden Kunst gefunden. Denn die Entstehung
und Darstellung einer naturalistisch genauen
plastischen Vorstellung setzt voraus, dass man
gelernt hat, das Verhältnis einer räumlichen Ein-
heit zu dem sie umgebenden Räume genau zu
beobachten und wiederzugeben.

Von dieser Entwicklungsphase bis zu der
Auffassung des gesammten Bildes als eines ge-
schlossenen Raumausschnittes musste in der An-
tike noch ein langer Weg zurückgelegt werden.
Es musste erst nach und nach der Zusammen-
schluss der Composition, die Einrahmung des
Bildes und die Vertiefung des Hintergrundes ge-
funden werden. Das war im späten Mittelalter
nicht nöthig. In der byzantinischen Kunst hat
sich die raumdarstellende antike Malerei immer erhalten und die moderne Malerei in Italien be-
ginnt damit, dass man von den Griechen diese antike Errungenschaft wieder übernommen hat. Die
Sienesen sind in den letzten Jahrzehnten des XIII. Jahrhunderts Schüler der Griechen geworden
und beginnen bis zu einem gewissen Grade wieder da, wo die Antike abgeschlossen hat. Darin liegt
die ungeheure Bedeutung der neuen toscanischen Malerei für die Geschichte der Kunst. Zwischen
dem französischen andeutenden Zeichenstile des XIII. Jahrhunderts und der raumdarstellenden Malerei
der Toscaner konnte es keine Berührungspunkte geben. Man wird nie an einem Gemälde Gefallen
finden, welches weiter geht, als die Vorstellungsfähigkeit folgen kann, und wir begreifen leicht, weshalb
in dieser Zeit jede Beeinflussung durch die italienische Kunst, die wir an mitteleuropäischen Kunst-
werken bemerken können, auf äussere Dinge beschränkt geblieben ist. Als man jedoch um die Mitte

Fig. 39. Ausschnitt aus der Miniatur auf f. 69 des Gebet-
buches des Herzog von Berry in Chantilly.

1 Die Tafel war wahrscheinlich ein Theil des Quatriptychons, welches Karl V. besessen hat und auf dem Kaiser
Karl IV. und die Könige Eduard von England, Johann der Gute und Karl V. selbst dargestellt waren: Champeaux-Figeac, 69 ff.
 
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