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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0131
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Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt.

des XIV. Jahrhunderts in dem wichtigsten Kunstcentrum nördlich der Alpen dazu gelangte, die räum-
lichen Relationen der einzelnen Figuren erschöpfend und naturalistisch darzustellen, mussten den
Künstlern plötzlich die neuen malerischen Aufgaben der Italiener verständlich werden. Von der
grössten Errungenschaft der mittelalterlichen Phantasie, die wir der gothischen Malerei und vor Allem
der gothischen Plastik verdanken und die darin bestand, dass der malerischen Darstellung eines ein-
zelnen Objectes ein treues Porträt seines plastischen Bildes zu Grunde gelegt wurde, konnte leicht ein
Weg gefunden werden zu einer Kunst, welche dieses Princip auch auf den die Figuren umgebenden
Raum übertragen hat. Man hatte den Schlüssel zu der antik-byzantinischen Malerei wiedergefunden.
Das Skelet des spätantiken Bildes war noch vorhanden; es war nichts Anderes nöthig, als die Tapete,
welche bisher den Bilderrahmen ausfüllte, durch eine Landschaft oder einen Innenraum zu ersetzen.

Ein Vergleich der Arbeiten der Illuminatoren des Herzogs von Berry mit Handschriften, die um
die Mitte des XIV. Jahrhunderts in Paris oder unter dem Einflüsse der Pariser Werkstätten gemalt
wurden, oder der Glasgemälde in Bourges1 mit älteren nordfranzösischen Glasmalereien macht es un-
zweifelhaft, dass auch die Maler des Herzogs wahrscheinlich aus der Pariser Schule hervorgegangen
sind und dass jedenfalls ihre Kunst nur als eine Weiterentwicklung des älteren nordfranzösischen Stiles
zu betrachten ist. Es ist das in der Malerei noch deutlicher als in der Sculptur. Der Ausgangspunkt
der Maler am Hofe von Berry war der Stil der Hofkünstler Karls V., dessen allmälige Entstehung wir
seit dem Zeitalter des heil. Ludwig an einer ununterbrochenen Reihe von nordfranzösischen Arbeiten
verfolgen können.2 Wie in der Sculptur, waren auch in der Malerei nicht kunstgeschichtlich bisher
bedeutungslose Gebiete die Heimat des naturalistischen Stiles der Maler in den nordfranzösischen Resi-
denzen sondern die alten französischen Kunstcentren, in welchen der Stil des XIII. Jahrhunderts und
die leitenden naturalistischen Probleme analog wie in der Plastik bis gegen Ende des Mittelalters in
einer einheitlichen Entwicklung ausgestaltet wurden. In dieser Entwicklung vereinigen sich die
Ziele und Bestrebungen der gesammten mitteleuropäischen Malerei des XIII. und XIV. Jahrhunderts.
Durch die allgemeine Verbreitung des französischen Zeichenstiles im XIII. Jahrhundert wurden überall
im Norden der Malerei dieselben Wege gewiesen; aber auch später holte man immer wieder An-
regungen dort, wo man auf diesen Wegen am weitesten gedrungen ist. Nachdem einmal die neuen
Probleme allgemeines Eigenthum geworden waren, konnte auch jede Lösung der wichtigen Darstel-
lungsfragen, die gemacht wurde, nicht lange ein provinzieller Gewinn bleiben. Wo dieselben Fragen
gestellt werden, wird sich eine befriedigende Antwort stets wie ein Lauffeuer verbreiten.

Auch die Kunst der Maler in Burgund bildet nur eine Fortsetzung der Bestrebungen der Hof-
künstler Karls V. Bei den Miniaturen bedarf es ebensowenig eines Beweises wie bei den Arbeiten,
welche für den Herzog von Berry hergestellt wurden. Doch auch bei den Tafelbildern lässt sich die
Uebereinstimmung im Stile und in der Composition mit der älteren nordfranzösischen Malerei leicht
nachweisen. Man vergleiche z. B. das Leben des heil. Dionysius von Henri de Bellechosse mit der Dar-
stellung einer ähnlichen Scene auf fol. 236' der vatikanischen Handschrift des Speculum des Vincenz de
Beauvais (Cod. Vat. lat. 1963), die um das Jahr 1350 in Nordfrankreich illustrirt wurde.

Auch aus Avignon haben sich Miniaturen erhalten, die dem Stile nach nordfranzösisch sind und
mit den Pariser Arbeiten aus der Zeit Karls V. übereinstimmen (so die Miniatur auf fol. 1 der Hand-
schrift Nr. 337 in der Bibliothek des Musee Calvet zu Avignon). Besonders auffallend ist die Ueber-
tragung des Pariser Stiles anderswo. Es ist bekannt und auch bereits gesagt worden, dass Karl IV. den
Maler Nikolaus Wurmser aus Strassburg nach Böhmen kommen Hess und dass dieser Künstler an der
Ausschmückung Karlsteins mitgearbeitet hat. Wir können mit einer ziemlichen Sicherheit auf Grund
von urkundlichen Nachrichten annehmen, dass der Stammbaum der Luxembourger, der einen Saal der
Burg schmückte und den wir dank eines glücklichen Fundes Neuwirths aus einer späteren Copie

1 Publicirt von Champeaux-Figeac, Travaux executes etc.

2 Selbst die persönliche Tradition in einzelnen Werkstätten und Familien lässt sich verfolgen. Vgl. Valentin Dufour,
Une famille de peintres parisiens aux XIV et XV siecles, Paris 1877, und Bernard Prost, Recherches sur les peintres du roi
in den Melanges Monod.

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