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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Wickhoff, Franz: Hermann Dollmayr
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0177
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Hermann Dollmayr.

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genauen Beobachtung äusserer Merkmale, die in der Behandlung der Urkunden schon seit dem
XVII. Jahrhundert durchgeführt ist und seither immer verbessert wurde. Auf diesen sicheren Beobach-
tungen beruhen in der Urkundenlehre fast alle wichtigen Fragen der Echtheit und der Fälschung.

Der italienische Senator Giovanni Morelli hatte sich in seiner Jugend an deutschen Universi-
täten als Naturforscher ausgebildet, hatte sich später praktischer und politischer Thätigkeit gewidmet
und erst in höherem Alter die Erfahrungen, die er als eifriger Liebhaber und Sammler an den Bildern
der Blüthezeit der italienischen Malerei gemacht hatte, systematisch durchgearbeitet und veröffent-
licht. Als Naturkundigem fiel es ihm auf, dass fast jeder Maler in der Zeichnung und Modellirung
einzelner Theile des menschlichen Körpers, wie z. B. der Ohren und der Hände, entweder von der
Natur abweicht oder dass er die richtig aufgefassten Formen beständig wiederholt, anstatt sie jedes
einzelne Mal aufs Neue dem Vorbilde zu entnehmen, etwa so wie der Schreiber die Buchstabenformen
beibehält, die er in seiner Kindheit in der Schule gelernt hat. Beobachtungen dieser Art, die sich an
der Faltengebung, an dem Baumschlag, an der Behandlung des Vordergrundes und dergleichen ins
Unendliche vermehren lassen, gaben ihm sichere Kennzeichen für die Zeicbengewohnheiten jedes
Meisters, so dass erst von jetzt an eine Bestimmung der Bilder nach ihren Urhebern nicht mehr auf
Grund eines dunklen ästhetischen Gefühles, dessen Inhalt nicht mittheilbar war, sondern nach be-
stimmten leicht nachweisbaren Kennzeichen in exacter Weise möglich wurde. Der Vergleich mit der
Schreibschule, den wir uns früher erlaubten, weist darauf hin, wie solche gewisse Gewohnheiten der
zeichnenden Hand übertragbar sind, wie sich die des Lehrers, nur leicht individuell verwandelt, bei
dem Schüler wiederfinden, ja wie sie Männer, die in derselben Werkstatt aufwachsen, zu einer Gruppe
verbinden.

Jedem, der mit der Uebung der historischen, diplomatischen und paläographischen Forschung
vertraut war, musste der ungeheure Gewinn der von Morelli begründeten Methode für die Kunst-
forschung augenblicklich klar werden. So haben sich denn auch niemals die Stimmen von Männern
dagegen erhoben, die in gelehrter Umgebung lebten, sondern sie haben Morellis Verdienst freudig an-
erkannt. In Wien, wo durch Thausings glückliche Initiative die Kunstgeschichte nicht nur in geistigen
Zusammenhang mit der historischen Forschung gebracht wurde sondern eben im Institute für öster-
reichische Geschichtsforschung in einen örtlichen Zusammenhang des Unterrichts, waren Morellis Er-
rungenschaften nicht durch Missverständnisse bedroht und auch niemals wurde unter der jovialen Form
des Goldoni'schen Plauderers, in der er sich zu geben beliebte, der tiefe wissenschaftliche Ernst seiner
Forschung verkannt. Mir war es gegönnt, Morellis gütige persönliche Unterweisung zu geniessen und
seine Methode als einer der ersten, ja lange vielleicht als der einzige Lehrer einer deutschen Uni-
versität meinen Schülern zu übermitteln.

Dollmayr ging mit Begeisterung darauf ein. Als Historiker in der Behandlung der Schriftquellen
geschult, durch die Morelli'sche Methode für exacte Forschung in der Formengeschichte vorgebildet,
war er durch seine allgemeine Bildung auf die Beachtung des Inhaltes der Kunstwerke hingewiesen.

Im Sommer 1888 beendete er seine Studien durch die Erwerbung des Doctorats. Die eingereichte
Dissertation behandelte die Werke Giulio Romanos in ihrem Verhältnisse zur Antike.

Raffaelstudien.

Von besonderer Wichtigkeit für die Morelli'sche Forschung hatten sich die Zeichnungen er-
wiesen, in denen sich die Hand des Künstlers für uns deutlicher offenbart als in den so oft versunkenen,
verscheuerten und wieder aufgemalten Bildern. Mich hatte das Studium der Zeichnungen besonders
angezogen und Dollmayr nahm an meiner Beschäftigung damit lebhaften Antheil. Die Zeichnungen
Raffaels und seiner umbrischen Landsleute standen schon darum, weil Morelli an dem Raffael zuge-
schriebenen Skizzenbuche in der Akademie zu Venedig die wichtigsten Theile seiner Lehre exempli-
ficirt hat, in dem Vordergrunde des Interesses. In vielfachen Gesprächen über raffaeleske Themen

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