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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 26.1906/​1907

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II. Theil: Quellen zur Geschichte der kaiserlichen Haussammlungen und der Kunstbestrebungen des Allerdurchlauchtigsten Erzhauses
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Köhler, Wilhelm: Aktenstücke zur Geschichte der Wiener Kunstkammer in der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel
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https://doi.org/10.11588/diglit.5946#0443
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IV

Geschichte der Wiener Kunstkammer.

Hauptstücken des jetzigen Hofmuseums schon in Rudolfs
Bildersammlung sich befunden haben müssen. Auf-
fallenderweise fehlten sie in der Liste von 1621. Daraus
war der Schluß zu Riehen, daß schon vor dem Jahre
1621 ein Teil der Gemälde dem nach Wien übergesiedel-
ten Hofe gefolgt war und auf diese Weise während des
dreißigjährigen Krieges der Verschleppung entging, der
der größte und wichtigste Teil der in der Liste von 1621
als in Prag befindlich verzeichneten Bilder verfiel. Uber
den Umfang dieser Übertragung war weiter nichts be-
kannt.

Hier treten ergänzend unsere beiden Bilderver-
Zeichnisse ein.

Die Gleichheit der Schreiberhand und der Datierung
und der durchaus einheitliche Charakter der beiden
Wolfenbüttler Faszikel gestattet den Schluß, daß H ein
Parallelverzeichnis bildet zu dem nach Matthias' Tode
abgefaßten Inventar der Kostbarkeiten in der Wiener
Hofburg, wie es in A vorliegt. Nur behandelt H die
Bildersammlung. Dieselbe Sammlung verzeichnet nach
der Überschrift auch G. Nun haben aber beide, wie
trotz der knappen Gegenstandsbezeichnungen mit Sicher-
heit gesagt werden kann, eine große Anzahl von Bildern
gemeinsam, können also nicht gleichzeitige Verzeichnisse
von verschiedenen Bildergruppen des kaiserlichen Besitzes
sein. Die Abweichungen der Inventare müssen dem-
nach durch einen zeitlichen Unterschied erklärt werden.

Die Datierung von G ergibt sich aus folgenden
Erwägungen. Einen Terminus post quem haben wir in
der Erwähnung des Bildes «Zauberei» von Frans
Francken (Nr. ß8) zu sehen, das sich im Hofmuseum
(Nr. ?jg) befindet und mit 1607 datiert ist. Weiter
aber ist mit aller Wahrscheinlichkeit nachzuweisen, daß
G immer noch einen früheren Zustand der Wiener Bil-
dersammlung repräsentiert als H. Das Verhältnis der
beiden Verzeichnisse zu einander läßt sich nämlich in
der Weise noch näher fixieren, daß H um eine große
Zahl von Bildern — darunter Hauptstücke, wie die
zahlreichen Dürerbilder— reicher ist als G, daß anderer-
seits G wieder eine Anzahl von Bildern angibt, die man
in H nicht wiederfindet. Während nun die Bilder von
H so gut wie vollzählig in den kaiserlichen Sammlungen
noch heute nachzuweisen sind, muß ein Teil der Gegen-
stände von G als verschollen angesehen werden, und
zwar gilt das für alle die Objekte von G, die in H
nicht wieder aufgeführt sind.1

Nähere Auskunft ist aus den Bilderverzeichnissen
selber nicht zu gewinnen. Nach einer Zahlungsnotiz der
Bauakten der Wiener Hofburg wurde im Jahre i55S
eine Kunstkammer erbaut, i566 ein Aufseher für sie an-
gestellt.2 Das ist alles, was von der Aufbewahrung der
kaiserlichen Sammlung aus dem XVI. Jahrhundert be-
kannt ist. Rudolf II. hat Teile von ihr nach Prag brin-
gen lassen 3 und dort, in seiner ständigen Residenz, alle
seine Neuerwerbungen aufgestapelt.4 Erst in den Jahren

1 Wie dieser Abgang j« erklären ist, vermag ich nicht -u
sagen; ich habe in dem publizierten Aktenmaterial vergeblich nach
Anhaltspunkten gesucht.

2 Schlager, Materialien zur österreichischen Kunstgeschichte:
Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen, Bd. V jiSSoj,
S. 673ff.

'5 Schlager, a. a. O., S. 6y5.

4 Die klarste und vollständigste Darstellung der Geschichte
des kaiserlichen Besitzes bis zu Matthias' Regierungsantritt hat H.
Zimmermann gegeben in den Kunsigeschichtl. Charakterbildern aus
Österreich-Ungarn, herausgegeben von A.Ilg, i8g3, S.210—249.—

1610, 1C12, iGiß und 1614 wird «seiner kuniglichen
majestät khunsthaus» in Wien in den Burg-Repara-
tionsrechnungen wieder erwähnt.1 In diese Zeit, die
ersten Regierungsjahre des Kaisers Matthias, mag das
Verzeichnis G gehören. Mit der Verlegung des Hofes
wird ein Teil der Rudolfinischen Sammlung nach Wien
gekommen sein.

Darauf muß in den nächsten Jahren, vielleicht
auch erst 1618 infolge der böhmischen Unruhen eine
umfangreiche Überführung von Bildern aus Prag nach
Wien stattgefunden haben. Auf diese Weise würde sich
dann der größere Reichtum von Hgegenüber G erklären.

Da nun von bedeutenderen Bilderkäufen aus Mat-
thias' Zeit nichts bekannt ist, könnte man die Bilder von
G und H mit denen der Liste von 1G21 vereinigen, um
den Gemäldebestand der Rudolfinischen Sammlung zu
erhalten, von der wir also durch sie erst ein annähernd
vollständiges Bild bekommen.

Die Verfolgung der weiteren Schicksale der in G
und H aufgeführten Bilder begegnet einigen Schwierig-
keiten. Da das Inventar aus dem XVII. Jahrhundert
verloren ist, liegt ein Zeitraum von fast anderthalb
Jahrhunderten ^wischen unseren Bilderlisten und den
nächsten systematischen Verzeichnissen des kaiser-
lichen Kunstbesitzes. Damals — «»1 die Mitte des
XVIII. Jahrhunderts — zerfiel dieser in zwei völlig
getrennte Abteilungen:2 in die Kunstkammer und die
Schatzkammer. Jene bestand in der Hauptsache aus
der Sammlung des Erzherzogs Leopold Wilhelm, die
1661 in den kaiserlichen Besitz überging;3 diese zerfiel
in drei Unterabteilungen: die geheime kleine Schatz-
kammer,4 die aber nur einige unbedeutende Bilder ent-
hielt, die weltliche5 und die geistliche Schatzkammer.13
In den Inventaren der beiden letztgenannten Samm-
lungen findet man einen großen Teil der in G und H
aufgeführten Bilder. Weiter aber ist zu berücksich-
tigen, daß inzwischen die Sammlung Leopold Wilhelms
als kaiserliche Galerie in der Stallburg aufgestellt war,
der wiederholt Objekte aus den Schatzkammern zllge~
wiesen wurden. Und in der Tat ist in den Übernahms-
ausweisen, die in den Schatzkammerakten erhalten sind,
der größte Teil der übrigen Bilder von G und H nach-
zuweisen. 7

Schon in allen Reiseberichten des XVII. Jahr-
hunderts wird aber die Sammlung Leopold Wilhelms
als eine auch örtlich von den übrigen kaiserlichen
Sammlungen völlig getrennte Gruppe behandelt;8 daß
sie auch in der Verwaltung von diesen geschieden war,
hat Zimmermann betont.9 Die geheime kleine Schatz-

Die oben gegebenen Bemerkungen versuchen nur eine Ergänzung
dieser Darstellung für die Folgezeit, wie sie durch die Zuführung
neuen Materials in den Wolfenbüttler Verzeichnissen möglich und
notwendig geworden ist und zugleich deren präzise Bestimmung er-
fordert.

1 Schlager, a. a. O.

2 Jahrbuch VII, Zimmermanns Vorbemerkung jf« Reg. 4S84.

3 Inventare im Jahrbuch /, Reg. 4g5 {Kunstkamtnerinventar
von i65gl und VII, Reg. 4yiy \SchatzkammerInventar von 1660).

4 Inventar von 17JI1 im Jahrbuch X, Reg. 6241.

5 Inventar von ljSo im Jahrbuch X, Reg. 6253.

6 Inventar von ij58 im Jahrbuch XVI, Reg. 12623.

7 Jahrbuch X, Reg. 6246, 62S0, und XVI, Reg. 12608.

8 B. Charles Patin, Quatre relations historiques, Basle
16j3, p. 7: «Les deux Cabinets que fy ay veus . . . Uun vient de
Bruxelles, et de la main de VArchiduc Leopold qui l'avoit rempli
avec des recherches et des despenses incroyables. Lautre est un
patrimoine de la maison Imperiale, et Vouvrage, dit-on, de quatre
Empereurs.»

9 Jahrbuch VII, Reg. 45S4, Vorbemerkung.
 
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