Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 28.1909-1910

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Röttinger, Heinrich: Breu-Studien
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5949#0050
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
42

Heinrich Röttinger.

gangen.1 Der nachlässig hingegossene Jüngling der Außenseite des rechten kleinen Orgelflügels ist
ohne nähere Bekanntschaft mit italienischer Kunst nicht denkbar.2 Vollends erscheinen die großen
Orgelflügel an ihre genaue Kenntnis geknüpft. Breu bedeutet nicht so viel für die deutsche Kunst, daß
man ihm das Verdienst, als erster in der Malerei italienische Renaissancekunst in großem Stile auf
deutschen Boden verpflanzt zu haben, vorenthalten könnte, ohne ungerecht gegen ihn zu sein. Da ver-
blüffen vor allem die kolossalen Dimensionen der beiden Orgelflügel, sodann der aufgeregte Stil der Dar-
stellung. Die Versammlung zuschauender Zeitgenossen ist noch in der würdigen Ruhe der Quattrocento-
kunst gehalten. Durch die Hauptszenen der beiden Flügel jedoch geht es wie ein Windesbrausen. Hier
macht sich, wie es scheint, bereits die Vertrautheit mit künstlerischen Intentionen fühlbar, die etwa
gleichzeitig in der Transfiguration Raffaels oder der Assunta Tizians zum Ausdrucke gelangten. Für
die Komposition der Flügel ist die unmittelbare Vorlage nachweisbar. Der linke Flügel mit der Him-
melfahrt Christi (Fig. 5) ist von dem Botticelli zugeschriebenen Stiche der Himmelfahrt Mariae B. XIII,
S. 86, 4 (Pass. V, S. 42, Nr. 100)3 inspiriert (Fig. 4). Das zeigt zunächst die Landschaft des Bildes, im be-
sonderen aber der zweite Apostel (Stellung, Hände, Faltenwurf) und der erste rechts im Vordergrunde
(Faltenwurf, Typus). Die Hände, die auf dem Stiche sich einander nähern, haben sich bei Breu bereits
gefunden. Ferner der knieende Apostel (Kopf, Hände, Falten). Die Hände des im Mittelgrunde den
Glanz der Glorie abblendenden Apostels sind den Händen der beiden Apostel links vorne im Stiche nach-
gebildet. Die Gestalt des Knienden mit dem Gebetbuche entspricht dem heil. Thomas des Stiches.
Auch die vier Engel zur Rechten und die drei zur Linken Christi wurden mit gewissen Veränderun-
gen aus dem Stiche herübergenommen. Die Tafel mit der Himmelfahrt Mariae ist hingegen frei konzi-
piert. Nur das Motiv der Gürtelspende an den heil. Thomas stammt aus der Vorlage.

Daß nun, um zu der Nürnberger Tafel zurückzukehren, die beiden Aktfiguren nicht von Breu
erfunden, sondern dem italienischen Formenschatze entnommen sind, kann als sicher gelten, obschon
ich die Vorlage für den Adam nicht zu nennen weiß. Aktgestalten in ähnlichen Stellungen finden sich
auf italienischen Stichen nicht selten (z. B. Mocetto B. 6); der Adam der Nürnberger Tafel ist jedoch
offenbar einem schlafenden Wächter am Grabe eines auferstehenden Christus nachgebildet, etwa einer
Figur, wie sie auf der Auferstehung Christi des Gianbellin in Berlin zu finden ist. Die Eva ist in gleichem
Sinne dem Stiche Nicolettos da Modena B. 62 (Fig. 2, Haare, Falten an der Achsel, Gesäß) entnommen.
So gewinnt Breu eine Erfindung Dürers (aus dem Stiche mit den vier Hexen, B. 75) wieder der
deutschen Kunst zurück. Die Figur hat Breu nach einigen Jahren im Gegensinne und in verkleinertem
Maßstabe auf dem Meitingschen Epitaph links oben wiederholt.4

1 Auch die Berliner Madonna von 1512 war noch frei von italienischem Einflüsse. Die Reise, die Breu sicher nach
Venedig geführt hatte, wo allein er die Kenntnis orientalischen Kostümes, die den Vartomanus charakterisiert, erworben haben
konnte, fällt somit offenbar zwischen die Jahre 1512 und 1515. Dodgson (a.a.O. XXI, S. 214) nimmt an, daß Breu ein
zweites Mal 1525 wegen des Schnittes mit der Schlacht von Pavia, ein drittes Mal 1534 wegen des Schnittes mit der lustigen
Gesellschaft in Venedig in Italien gewesen sei. An beide Reisen glaube ich nicht. Wegen eines Flugblattes, das doch schnell
auf den Markt kommen mußte, unternahm man im XVI. Jahrhundert schwerlich eine so weite Reise und die italienischen Ele-
mente des Lucretiabildes, worauf W. Schmidt (Rep. XIX, 285) anspielt, scheinen mir durch die erste genügend erklärt. Die
Reise wegen des Bankettes war schon aus dem Grunde überflüssig, weil das Blatt, wie ich später zeigen werde, gar nicht vom
Vater herrührt. Doch auch sonst ist jene dritte Reise undenkbar. Das Bestreben, sich geschäftlich zu fördern, entfiel für Breu,
da er die Meisterschaft bereits niedergelegt hatte, und eine Pilgerfahrt kann man dem fanatischen Antipapisten nicht zumuten.

2 Vgl. damit etwa Marc Antons Stich B. 469.

3 Der Stich hat noch eine andere Spur in der deutschen Kunst zurückgelassen: nach ihm ist der von W.H.Schreiber
(Manuel I, p. 203f.) unter Nr. 724 beschriebene Schnitt der Erlanger Universitätsbibliothek verfertigt.

4 Giehlow hat eine so große Vertrautheit Breus mit italienischen Niellen nachgewiesen, daß die Frage gestellt werden
kann, ob nicht des Gegensinnes halber, in dem das Figürchen des Epitaphs zur Eva in Nürnberg und dem Stiche Nicolettos
steht, an das nach diesem gefertigte Niello Duchesne 284 als Quelle des Motives zu denken sei. Die kleine Figur des Niello
hat jedoch mit der Eva und der Figur des Epitaphs nur mehr die ungefähre Haltung gemein. — In diesem findet sich noch
eine andere Entlehnung aus einem italienischen Werke. Die beiden Engelchen im oberen Teile der Tafel hat Breu dem Stiche
Marc Antons nach der Galatea Raffaels entnommen, und zwar so, daß er den linken seines Bildes dem linken Raffaels einfach
nachzeichnete, den rechten Raffaels aber in den Gegensinn verkehrte. Sein gestrecktes Bein ließ er auf dem Felsen fußen.
Daran, daß er nun den Bogen in der rechten Hand hält, nahm Breu keinen Anstoß. Das nach Marc Antons Stich gefertigte
 
Annotationen