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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 29.1910-1911

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I. Teil: Abhandlungen
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Pollak, Oskar: Studien zur Geschichte der Architektur Prags 1520-1600
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https://doi.org/10.11588/diglit.6176#0093
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Oskar Pollak.

zur Einfachheit!» Und auf den Taumel folgt dann eine kalte, allerdings meist kurze Zeit der Reaktion,
des Umschlags ins Gegenteil.

Dem deutschen Norden bedeutete Italien immer das gelobte Land. Wie die mittelalterlichen Kaiser
hinabzogen, um hier kämpfend ihr Blut zu lassen, so die neuzeitlichen Künstler, um ringend zugrunde
zu gehen, soll heißen: ihr Selbst aufzugeben und sich in fremdem Wesen zu verlieren. Und so geschah
es auch am Anfange des XVI. Jahrhunderts. Der nervenaufregenden Pracht der Spätgotik war man

müde und überdrüssig, man ver-
langte nach etwas Neuem. Wo
hätte der aufblühende Humanis-
mus in puncto Kunst auf frucht-
bareren Boden fallen können?
Man hörte so viel von der Größe
der alten Römer, von der Herr-
lichkeit ihrer Tempel, von der
großartigen Pracht ihrer Paläste.
Die wenigen Glücklichen unter
den Künstlern, die Italien auf-
suchen durften, sahen begeis-
tert ein Wiederaufblühen jener
alten, versunkenen, bewunderten
Kunst; und die, die nicht so
glücklich waren, mußten es sich
genügen lassen an den Kunst-
und Architekturbüchern, in de-
nen das glückliche Italien die
Wunder und Gesetze antiker
Bauweise der aufhorchenden
Menschheit verkündete. Und die
Bewunderung wurde auch im
deutschen Norden zur Tat: die
Meister wollten dem erstaunten
Norden die südlichen Herrlich-
keiten leibhaftig vor Augen füh-
ren; der Architekt, der gewohnt
war, krauses Laubwerk und lustig
tanzende Gewölberippen zu ent-
werfen, vertiefte sich in die un-
ergründlichen Geheimnisse der
vitruvianischen Säulenordnun-
gen, er zeigte den nordischen Kunstfreunden zum ersten Male «antikische» Säulen, «antikisches» Ge-
bälk. Man versuche es einmal, sich in Gedanken nachfühlend in jene Zeit zu versetzen und man wird
sehr viel, ja alles von dem heute allgemein üblichen hart absprechenden Urteil abstreichen müssen, das
man über die Erzeugnisse der deutschen Renaissance fällt, jener «italienisierenden Afterkunst», jener
«Ausgeburten einer Schreinerphantasie» und was der Epitheta noch mehr sind. Die geistigen Auf-
gaben, die sich die Meister stellten, waren geradezu ungeheure, das ganze gewohnte Vorstellungsleben
wurde in den tiefsten Tiefen aufgewühlt und umgeändert. Und da hätten abgewogene, abgeklärte
Leistungen, gleich denen der italienischen Hochrenaissance, entstehen sollen! Die Dogmatiker der
Kunstgeschichte, die nicht das ehern Notwendige sehen sondern die Norm, waren stets hart und
ungerecht im Urteil. Wer die nordische Renaissance mit der Elle der italienischen mißt, kann ihr nie-

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Fig. 2. Karlsplatz, ehemaliges Neustädter Rathaus (nach der Restaurierung).
 
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