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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 29.1910-1911

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I. Teil: Abhandlungen
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Pollak, Oskar: Studien zur Geschichte der Architektur Prags 1520-1600
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https://doi.org/10.11588/diglit.6176#0126
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Studien zur Geschichte der Architektur Prags 1520—1600.

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Das auffallendste Stück an dieser Fassade ist das Portal. Die Rustika, der unbehauene oder roh
behauene Block als Bauglied, ist ein dem Norden bis dahin fremdes Requisit; man kann sich keinen
größeren Gegensatz denken als einen nordisch-gotischen, von Steinmetzen ausgeführten Bau und z. B.
den Palazzo Pitti in Florenz. Diese Rustikaportale, die in Prag bald eine große Beliebtheit erlangten,1
sind ebenso wie all die Säulen, Pilaster, Gesimse Fremdkörper, die in den nordischen Bauorganismus
eingedrungen sind und erst nach längerem Kampfe, gleich dem Fremdkörper im fiebernden Blute, assi-
miliert oder ausgeschieden werden. Auch für
diese Rustikaportale scheint Serlio die Quelle
zu sein; wenigstens sind ganz übereinstim-
mende Gebilde auf zahlreichen Entwürfen in
seinem «Extraordinario libro d'architettura»
(zum ersten Male erschienen bei Sessa, Vene-
tia 1557, fol.) als innere Türumrahmungen
verwendet (vgl. den Ausschnitt aus Blatt 14
auf unserer Fig. 28). Zu bemerken ist die
fast bei allen nordischen Reproduktionen ita-
lienischer Vorbilder wahrzunehmende Ver-
breiterung der Proportionen.

Die urwüchsige, echt nordische Aus-
einandersetzung mit der «italienischenFrage»,
wie wir sie bei jener frühen, zuerst bespro-
chenen Bautengruppe vom Neustädter Rat-
hause bis zum Georgsportale konstatieren
konnten, mußte naturgemäß mit dem Mo-
mente sein Ende finden, da man italienische
Portalbauten in reinen Formen zu sehen be-
kam; und beim Portal, beim Schmuckstück
des Hauses, konnte man schon das Experi-
ment wagen, einmal ganz «italienisch» zu
bauen, was man beim ganzen Hause aus
früher besprochenen Gründen nicht konnte
oder wollte. Noch handgreiflicher als beim
Portal des Teinhofes liegt der Fall beim Por-
tal des etwas früher, kurz nach 1556 entstan-
denen Hauses zur «Eisernen Tür» in der
Ägidigasse in der Altstadt Nr. Cons. I/436
( Fig. 29). Thomas Hebenstreit von Streitfeld aus Frankfurt war der Bauherr.2 Das Portal ist heute ein
wenig verändert, da die beiden vorgelegten Pilaster sowie die Türpfosten bis zum Bogenansatz mit
Mörtel verputzt sind, während man aus verschiedenen Stellen rechts unten, wo der Verputz abgefallen
ist, ersehen kann, daß auch diese Teile, gleich dem Felde über dem Torbogen, rustiziert waren.3 Ver-
gegenwärtigt man sich nun diesen originalen Zustand und stellt man ihm dann den Entwurf eines
toskanischen Rustikaportals aus dem IV. Buche des Serlio, Fol. 10 (Fig. 3o) entgegen, so sieht man

Fig. 36. Ehemalige St. Alhertskapelle beim Veitsdom
(aus Podlaha-Hilbert).

1 Hier sei nur auf die Nebenpforten des Hofgartens sowie auf das in den achtziger Jahren entstandene Palais Martinitz
am Hradschiner Platz hingewiesen, ungezählt die zahlreichen Fälle von Bauten aus dem XVII. Jahrhundert, wo es vorkommt.
Von einigen Fällen wird noch im weiteren Verlaufe die Rede sein.

2 Ruth, 1. c. I, 382.

3 Bei meiner letzten Anwesenheit in Prag im Sommer 1910 sah ich, daß der untere Teil des Portals nun von dem
Bewürfe befreit worden ist. Tatsächlich ist eine durchgängige Rustizierung zum Vorschein gekommen. Die Übereinstimmung
des Portals mit dem Serlioblatte (Fig. 3o) ist nun viel überzeugender als im alten Zustande.

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