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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 33.1916

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I. Theil: Abhandlungen
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Planiscig, Leo: Geschichte der venezianischen Skulptur im XIV. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.6168#0094
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86

Leo Planiscig.

die gleiche gewundene Ecksäule mit dem Blätterkapitell wieder. Stellung, Kleidung, Faltenwurf,
Hände, Kopfbildung, Nimbus dieser Madonna decken sich vollständig mit denen ihrer Schwester
in Treviso. Etwas ruhiger gegenüber dem trevisanischen erscheint unser Verkündigungsengel: sonst
ist er diesem sehr ähnlich, wie dies aus einem Vergleich der Stellung, Haltung der Hände, Kopf-
behandlung deutlich hervorgeht. Damit ist der Beweis geliefert, daß das Castellano-Grabmal nicht
wie die Area des hl. Lukas in Padua als etwas Vereinzeltes im Veneto dasteht sondern, wie dies
noch aus anderen Beispielen zu ersehen sein wird, der Vertreter eines weitverbreiteten Einflusses
ist, der mitten in der venezianisch-ein heimischen Bildhauerproduktion Platz gegriffen hatte, um
diese in neue Bahnen zu lenken.

Dem Stile nach sind die angeführten trevisanischen und estensischen Figuren weit von
Giovanni Pisano entfernt: ein Vergleich mit der Madonna dell'Arena wird unsere Uberzeugung be-
kräftigen, da(3 Venturi im Unrecht war, wenn er behauptete, diese hätte die venezianische Skulptur
regeneriert.

Von weit größerer Bedeutung aber sind die Fragmente des Sarkophags des Beato
Odorico aus Pordenone in der Carmini-Kirche zu Udine (i332), da sie uns, weil datiert
und einem venezianischen Bildhauer angehörend, einen sicheren Anhaltspunkt für die Fesstellung
des toskanisch-sienesischen Einflusses im Veneto gewähren (Figg. 48—51).

In der Carmini-Kirche zu Udine, an der linken Seitenwand, jetzt unter der Mensa eines
Altares, ruhen die Gebeine des Beato Odorico aus Pordenone, eines großen und weltberühmten
Reisenden des XIV. Jahrhunderts. Ein Teil der Fragmente seines einstigen Grabdenkmales bildet
die heutige Altarverkleidung.1

Aus den Dokumenten, die von Domenichelli und in einer exakteren Form von Cordier ver-
öffentlicht wurden, entnehmen wir, daß der i33i verstorbene Beato in einen provisorischen Holz-
sarg gebettet wurde, der von Meister Nicoiao Marangono (Tischler) ausgeführt worden war. Unter-
dessen wurde dem Meister Philippo de Venetiis der Auftrag erteilt, einen Marmorsarkophag zu er-
richten, für welchen er am 10. Mai i332 bezahlt wurde.2 Der Marmorsarkophag wurde in der Kapelle
des hl. Ludwig von Toulouse in der S. Francesco-Kirche (jetzt dell'Ospedale) aufgestellt. Als
im Jahre 1771 die Franziskanermönche ins Carmeliterkloster (Borgo Aquileja) übersiedelten,

3 I E 117, Verkündigungsengel, weißer istrianischer Marmor, 67-5 X24 cm- Spuren einer alten Vergoldung am Nimbus,
am Kopfe des Mantels, an der Spitze des Lilienstabes, an den Schuhen. Bohrlöcher in den Haaren. Erinnert besonders in
der Haarbehandlung stark an den heiligen Ritler (S. Fiorenzo) am Enrico-Grabmal zu Treviso.

1 Der B. Odorico ist in der Nähe von Pordenone um das Jahr 1285 geboren worden. Mit 15 Jahren trat er in das
«Frati minori»-Kloster in Udine ein, von wo er im Jahre 1313 oder 1314 seine große Reise nach Indien, Borneo und Japan
unternahm, durch die er berühmt wurde und die ihm den ersten Platz unter den Reisenden des XIV. Jahrhunderts ver-
schaffte. Nachdem er in die Heimat zurückgekehrt war, ließ er sich im Kloster des hl. Antonius in Padua nieder, wo er seine
Erinnerungen und Erlebnisse in lateinischer Sprache niederschrieb, die in italienischer Übersetzung bald eine große Verbreitung
fanden. Der letzte und umfangreichste Biograph des Beato, Henri Cordier, zählt zirka 70 Redaktionen dieser Reisebeschrei-
bung, die in den verschiedensten Bibliotheken Europas verteilt sind, auf. Im Jahre i33o ist Odorico wiederum in Udine, wo er
am 14. Jänner J 331 starb. Bald verbreitete sich der Ruf seines heiligen Lebens, so daß aus den Nachbarländern Edle und
Volk nach Udine herbeiliefen, um den Toten zu verehren. Der Patriarch von Aquileja Pagano della Torre (1319—1332)
ordnete eine feierliche Bestattung des Geschiedenen an und traf im Vereine mit dem «Gastaldus» von Udine Vorkehrungen
für die Errichtung jener Area, die nun Gegenstand unserer Besprechung sein wird.

Die Literatur über den B. Odorico da Pordenone ist teils biographischer, teils apologetischer, teils geographischer
Natur. Nur vereinzelt wird sein Grabmal erwähnt. Vom kunsthistorischen Standpunkt ist es zum ersten Male von mir in
«l'Arte», Rom 1911, behandelt worden. — Vgl. Asquini, Vita e viaggi del B. Odorico da Udine, Udine 1737; Venni, Elogio
storico alle gesta del B. Odorico dell' ordine dei conventuali etc., Venedig 1761; Domenichelli, Sopra la vita ed i viaggi del
B. Odorico da Pordenone, Prato 1881; Cordier, Les voyages en Asie au XIV siecle du bienheureux frere Odoric de Por-
denone, Paris 1891 in: Recueil des voyages et des documents pour servir ä l'histoire de la geographie etc., Bd. X. Erwähnt
ist das Grabmal bei C. Fabio di Maniago, Guida d'Udine, S. Vito i83g, p. 57; Cicogna, Delle iscrizioni veneziane II (Venedig
1827), p. 278; Joppi, Contributo quarto ed ultimo alla storia dell' arte in Friuli etc., Venedig 1894, p. 118, und Venturi
a. a. O. VI, p. 33, Anm. I.

2 Dedit Magistro Philippo de Venetiis qui fecit archam Bcati Fratris Odorici de mandato domini Gastaldionis et

Consilij.....soldos X grossorum. — Ex quadernis Camerariorum Comunis terrae Utini, Bd. X. Abschrift in der Biblioteca

civica in Udine, Sammlung Fabrizio.
 
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