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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 8.1893

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Heft 1
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Kekulé von Stradonitz, Reinhard: Über einen angeblichen Ausspruch des Lysipp
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https://doi.org/10.11588/diglit.38776#0060
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Kekule, Über einen angeblichen Ausspruch des Lysipp.

sophokleischen Ausspruchs auf Lysipp — »wenn die Menschen keine lysippischen
Proportionen haben, um so schlimmer für sie«. »Nicht der polykletische Kanon ist
mustergiltig, sondern der lysippische.« »Nicht Polyklet, sondern Lysipp hat in den
Proportionen die Menschen dargestellt ofou? osi slvat.«
Eine Frage der künstlerischen Richtigkeit ist durch eine ästhetische Formel
beantwortet worden und so hat auch der Urheber der bei Plinius erkennbaren Ur-
teilsreihe, welche nicht von der philosophischen Grundlage der drei aristotelischen
Möglichkeiten künstlerischer Darstellung ausgeht, sondern von den verschiedenen
Proportionssystemen und von künstlerisch-technischen Beobachtungen, sich dennoch
der magischen Kraft eines Lehrsatzes der aristotelischen Poetik nicht entziehen
können.

Den wesentlichen Inhalt der vorstehenden Erörterung habe ich in Kürze
mündlich am i. November 1892 in der archäologischen Gesellschaft vorgetragen.
[Vergl. den in diesem Hefte im Archäologischen Anzeiger S. nf. abgedruckten Be-
richt.] Den damals erhobenen Einwendungen hoffe ich durch die ausführlichere
schriftliche Darlegung begegnet zu sein. Ich brauche daher nur wenig zuzufügen.
Wenn es gestattet wäre, den angeblich lysippischen Ausspruch aus allem
Zusammenhang herauszulösen, so würde ich noch andere als die besprochenen
Deutungsversuche vorschlagen können. Z. B. ist »das Wirkliche in ein Bild zu ver-
wandeln«, wie sich W. von Humboldt ausdrückte, in der That die Aufgabe der Kunst.
Aber es kann sich doch nicht darum handeln, dafs wir in diesen überlieferten Aus-
spruch von unserem Standpunkte aus einen möglichst guten Sinn hineinlegen, sondern
nur darum zu finden, in welchem Sinne er ursprünglich verstanden worden ist, und
es macht dabei nichts aus, ob man eine Übertragung gerade des bei Aristoteles
überlieferten sophokleischen Ausspruchs zugiebt, oder annimmt, dafs der lysippische
auf einer Anwendung der aristotelischen Formel beruhe. Übrigens wird auch der
sophokleische Ausspruch im Sinne einer Abwehr angeführt. Ich setze einen Satz
aus Vahlens Erklärung des Gedankenzusammenhanges her ». . . . wenn getadelt wird,
dafs das dargestellte nicht wahr sei (also nicht ota ecru), so kann man entgegenhalten
c(XX’ usu)5 Sei, d. h. sich auf die Idealität berufen, wie also z. B. Sophokles dem Euri-
pides gegenüber geltend machte, dafs er die Menschen darstelle wie sie sein sollten
(ofous 8st seil, elvcu), jener aber wie sie wirklich sind (oibt scoav), so kann man jenen
Tadel lösen« (Beiträge zu Aristoteles Poetik IV, Wien 1867, S. 359).
Gewifs ist die platonische Ideenlehre für die Vorstellungen des Aristoteles
mitbestimmend gewesen. Aber es geht nicht an, den angeblich lysippischen Aus-
spruch mit Hilfe der platonischen Ideenlehre umzudeuten, so dafs die veteres das
im Sinne der platonischen Ideenlehre Wirkliche, Lysipp nur die irdische unvoll-
kommene Erscheinung dargestellt habe; und ebensowenig ist es möglich, die Über-
lieferung bei Plinius durch Änderung in ihr Gegenteil zu verkehren, a veteribus
factos quales viderentur esse, a sc quales essent. Denn sobald überhaupt ein solcher
Gegensatz zugelassen wird, wird der Preis dem zugesprochen, der die Menschen dar-
 
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