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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 8.1893

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Kuhnert, Ernst: Unteritalische Nekyien
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https://doi.org/10.11588/diglit.38776#0115
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Kuhnert, Unteritalische Nekyien. 105

terisirt wird; er blickt der Entscheidung harrend auf die mit ihrem Gemahl und
dem Seelengeleiter Hermes beratende Persephone. Den inhaltlichen Zusammen-
hang der beiden ersten Darstellungen hat Winkler richtig erkannt, und den Jüng-
ling auf Protesilaos gedeutet. Da die Persönlichkeit seiner Überzeugung nach not-
wendig eine mythische sein mufste, so blieb ihm freilich keine andere Wahl; eine
weitere Stütze läfst sich für diese Deutung nicht anführen, denn der Jüngling trägt
nichts an sich, was uns an einen Heros, speciell an Protesilaos zu denken zwänge.
Nichts individuelles ist diesen Gestalten eigen, so wenig wie der Gruppe auf der
Vase aus Canosa; unbeirrt durch andere Erwägungen würde jeder in diesen
Figuren Menschen erkennen. Welcker hat das ganz bestimmt ausgesprochen* 2, Jahn
erschienen die Gestalten links oben auf E. VI, 2 schon der mythischen Form ent-
kleidet und in ein Grenzgebiet allgemeiner poetischer Auffassung versetzt 3. Man
kann aus diesen Worten Jahns, der sich nie über eine Schwierigkeit hinwegzutäuschen
pflegte, klar erkennen, wie deutlich die Darstellungen sprechen; die Deutung auf
Heroen kann nur als ein Rückschritt gegen seine Auffassung bezeichnet werden.
Die Anwesenheit des Orpheus endlich hat man auf allen diesen Gemälden
fast ausnahmslos auf den Mythus von der Erlösung der Eurydike bezogen; und in der
That besitzen wir jetzt eine Darstellung, welche den Sänger von einem Piros um-
schmeichelt, seine Gemahlin an der Hand, vor der Gewährung winkenden Perse-
phone zeigt (E. III, 2). Indessen gerade dies Gemälde mufs über die in der Regel
unbeanstandete Deutung der anderen Vasenbilder, auf denen Eurydike fehlt, jeden
stutzig machen, der nicht etwa die ästhetischen Bedenken Valentins teilt (vgl.
Winkler, S. 29). Eine Darstellung, die den Wunsch des Orpheus klar zum Aus-
druck bringen wollte — und mit diesem Zutrauen werden wir doch ohne den Be-
weis des Gegenteils von vorneherein an jede herantreten -— mufste das Objekt des
Wunsches zeigen und das ist allein auf der erwähnten Vase Santangelo geschehen.
Auch für die Anwesenheit des Orpheus werden wir mithin eine andere Begründung
fordern.
Eine neue Auffassung dieser Unterweltsdarstellungen hat Albrecht Dieterich
bei seiner Behandlung der orphischen, in Unteritalien gefundenen Goldtäfelchen
De hymnis Orpliicis capita V, S. 40, 41 angebahnt. Er hat darauf hingewiesen, dafs
bei der Verbreitung der orphischen Religion in Unteritalien vom vierten bis zum
zweiten Jahrhundert Darstellungen des Orpheus auf Vasen derselben Zeit not-
wendig auch in diesem Ideenkreise sich bewegen müfsten, und hat Orpheus hier als
den geweihten Mysten aufgefafst, der der Unterweltsgöttin naht, um von ihr ein
göttliches Leben zu erbitten. Seine Auffassung klärt in dieser Form unsere Dar-
stellungen noch nicht auf, doch ist, wie ich überzeugt bin, der von ihm eingeschla-
gene Weg der einzige, auf welchem das Verständnis dieser Bildwerke erschlossen
werden kann.

'9 Mit Unrecht hat er freilich das Mädchen hinter der Danaide auf E. III, 1 mit dem Jüngling
in Verbindung gesetzt, vgl. Winkler S. 16.
3) Arch. Zeitung XXV 1867 Sp. 44.
 
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