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Sittenbilder.

15

— der Schelmenroman — hat anch hier ihr Licht auf die Vergangenheit geworfen: der
Erzvater wird zum Patriarchen der xioaros.

Daß es aber der Gegenstand ist, der ihn auf diesen Erzählungston brachte,
zeigt das kleine Jdyll, Elieser und Rebekka im Prado (855). Keine hübschere Dorf-
geschichte ist in jenen Landen in Farben erzählt worden. Schöne, frische, aufgeweckte
und sittsame Landmädchen, in lachenden Farben vor einer diesmal auch ganz einladen-
den, silbrig kühlen Ferne.*) Wic gar nichts ist doch hier von dem wilden Zigeunerbraun
und Zigeunertemperament, das die Modernen in den Volkskindern Andalusiens zu ent-
decken pflegen!

Gegen den Schluß dieser ersten Zeit mag auch ein Hauptwerk von höheren An-
sprüchen und sehr gediegener Ausführung fallen: der heil. Bernhard von Clairvaux,
wie ihn die Mutter Gottes in seiner Zelle besucht. (Prado 868.) Der Kopf ist nicht
unpassend gewählt für dcn Abt, gewagt aber der Ausdruck mystischer Feinschmcckerei des
niöllillcci äootoris. Jn dem nicht mehr jugendlichen Antlitz der Himmlischen ist ein Zug
matten, phlegmatischen Stolzes, gemildert durch die Huld, welche die Situation forderte.
Diese Erscheinung ist so körperlich wirklich in den Vordergrund gedrängt, daß sie den
Rahmen zu sprengen scheint. Das Weiß der Cistercienserkutte, der lange Frauenrock in
ernstem Braunrot mit der in den breiten Lichtflächcn fast verschwindendcn Lokalfarbe ver-
leihen dem Bildc ein besonders kaltes Wesen. Die dichte Wolke mit dem Kinderschwarm
ließ noch Raum für dcn Bücherspind mit den Folianten, den Arbeitstisch nebst Schreib-
zeug, Bibel und Lilienvase, und für die Amtsinsignien am Boden, alles unübertrefflich,
ein theologisches Stillleben.

Sittenbikder.

Jn der Maffe seiner Werke, in den Galerien von Sevilla, Madrid und Paris, lernt
man den Meister fast nnr als Kirchenmaler kenuen. Demgemäß hat man ihn natürlich,
nach bekanntem „synthetischem" Rezept, abgeleitet als Dolmetsch der aufgeregten De-
votion der Gegenreformation. Hat er denn jenen „Weg der Natur" sofort wieder ver-
lassen, auf dem er sich den ersten Erfolg errang?

Das behaupten, hieße Namen und Stoff mehr Gewicht beilegen, als den augen-
fälligsten künstlerischen Eigenschaften. Die eben besprochenen Stücke zeigen grade, wie
ihn mitten in den Reichen der Phantasie Eindrücke seiner irdischen Umgebung umschwebten.

*) Das Gemälde „Ruth und Naenn" in Longford Castle ist wohl ein Matteo Rosselli; diese zweite
florentinische Schule der Jacopo da Empoli, Francesco Corradi, Carlo Dolce steht Murillo unter
den italienischen am nächsten.
 
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