Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Madonnenmaler.

39

von dem Augenblick an, wo sie in kupferstechende Lünder bersetzt wurden. Jhre Beliebtheit
stcht der Naphaclscher Madonnen nahe. Beide Maler berühren sich in cinein Pnnkt:
sie löstcn das nberlieferte Andachtsbild aus den letzten Fesseln frommcr Zurnckhaltnng
sie schöpften den Zanbcr des Lebens aus ihrer landschaftlichen Umgebnng, so verschieden
auch das Verhältnis ihrer Gestalten zu den natürlichen Vorbildern war. Aber in den
Teilen des marianischen Bilderkreises, die sie bearbeiten, gehen sie sich so zu sagen aus
dcm Wege.

Naphacls cigenste Sphäre war die heil. Familie, das Bild der heil. Jungsran,
vcrschmolzen mit dcn gefüllig heitcren Motivcn dcs Frauen- und Kinderlebens. Er führte
das Göttliche zum Menschlichen herab, indem er es zum Träger reiner, natürlich-heiliger
Zuständc machte. Er erhebt das Alltügliche durch Anmut und Musik der Linien und
dcn vollendeten Aufban der Grnppe. Jn dieser schönen Mitte weilt Raphael.

Dagegen die Knechtsgestalt, wo es mit dem Herabsteigen in die Endlichkeit Ernst
wird, die Verklärung, wo das Menschliche vom Göttlichen überstrahlt wird, diese End-
punkte hat er nur ausnahmsweise berührt; gerade in ihncn aber war Murillo zu Hause.

Er hat wohl jenen Raphaelschen Bezirk der klassischen Mitte anch betreten: aber nur
mit beschränktem Erfolg. Der Spanier, der Sohn seiner Zeit und eines anderen Gcistcs Kind,
wcnn cr seinc Andalusierinncn in dic heiligen Bilder brachte, blieb der landschaftlichcn, dcr
volkstümlichen, ja individuellen Wirklichkeit viel näher als der Urbinate. Seine Marien
sind ganz Spanierinnen, geben sich gleich als Spanierinnen zu erkennen, unverkennbarer
wie die Raphaels als Römcrinncn etwa oder Florentincrinnen. Man kann auch nicht
lüugnen, daß Murillo scine Nachbarinnen besser zn verwerthcn gcwnßt hat, als dcr
römische Maler, in dcsscn wcichcn, rundlichen Köpfen und kurzen Figurcn von dcn
plastisch großen, strengcn Zügen und Formcn der Campagnasrauen wenig zu sehen ist.

Wie zahlreich, wie vft nüancirt sind bei dcm Spanier jene Sccncn der Kindhcits-
gcschichtc, dic Raphael nie gemalt hat. Jn diesen Hirten, in der Flucht, der Wohnstnbe sahcn
wir dic junge Bäucrin, welche ganz zn den Nachbarn gehört, die sie bcglückwünschcn
odcr zu dencn sie anf Bcsuchsreise bcgriffen ist. Die Zimmermannswcrkstatt zeigte uns
dic fleißige Hausfran des Handwerkcrs, welchc ihre Arbcit durch cinen flüch-
tigen Blick auf die munter (wenn auch gelegentlich mit einem Rohrkreuz) spielendcn
Kindcr nicht einmal untcrbricht. Oder sie sitzt in früher Morgcnstundc am Nähkisscn,
da bringt dcr Vater das eben erwachte Kind zum Morgenkuß, sie streckt ihm die Armc
cntgegen (Ermitage 369). Nicht immer färbt ein poetischer Hauch diese Scenen; die
naturgetreuen Geräte verbreiten eine Werktagsstimmung, selbst im Englischen Gruß.

Freuden und Plagen sind echt, beschränkt und ohne Sentimentalität. Nichts vom
Doketismus modcrner Kirchenmaler, die uns weltfremde Wescn vorführen, Gäste und
 
Annotationen