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Der Madonnmmaler.

Diese zwölfjährige Maria ist gewiß das Bildnis eines Töchterchens aus edlein Hause;
die Züge, die fein gebogene Nase lonnnen nirgend sonst vor, auch der Haarputz ist modisch,
der einzige Schmuck die Rose. Die klugen, braunen Augen, forschend auf die der Alten
geheftet, erinnern an dgs Wort: Maria bewahrte alle diese Worte in ihrem Herzen. Wir
glauben ihr anzusehen, daß sie auch Fragen stellen wird, welche jede andere Lehrerin,
außer der heil. Anna, in Verlegenheit bringen würden. Es ist gerade das Alter, wo bei
diesen Kindern des Südens das Flämmchen der Jntelligenz am lautersten brennt; später
machen es Liebesromane, Bigotterie und das Fehlen vernünftiger Beschäftigung trüb
und qualmig. Aber der Kunstfreund denkt kaum an dergleichen. Das aus den letzten
Jahren stammende Bild ist eines der besten Beispiele des Systems, das Murillo bei
günstigem Gegenstand damals befolgte. Es ist ein selbstgeschaffenes Syftem, dem vene-
zianischer und niederländischer Koloristen wenig ähnlich, obwohl ihnen ebenbürtig.

Auf neutralern Hintergrund, einem mehr oder weniger hellen, durchscheinenden
Nebel vergleichbar, sei es als einförmig leere Fläche, sei es als wolkenbedeckte Ferne —
auf diesem farblos kühlen Grunde kommen die Gestalten hervor, ziehen das Auge an
durch die Klarheit und Bestimmtheit ihrer pastosen Farben, ihrer wechselwcise sich hervor-
trcibenden dunklen und hellen, kalten und warmen, gesättigten und gebrochenen Tinten.
Auf dem Antlitz sammelt sich das vollste, immer warme Licht, die Haut durchtränkend.
Ein dünnes, schleierartiges Schultertuch von graugrünlichem oder graupurpurnem Ton
trcnnt den Hals von den lebhafter gesärbten Stoffen des Kleides.

Man kann sich die Bezeichnung vnxvroM hier gefallen lassen. Sie will sagen,
daß er die Härte des Umrisses und der Fläche verflüchtigte, daß er zwischen Auge nnd
Gegenstand das Medium von Lust und Licht schob, welche das durchgelassene Bild sich
verähnlichen, — als verrauche die Oberflüche, ein farben- und lichtgedrängter Dunst, in
der Luft; oder als seien die farbigen Gestalten nur eine Erscheinung der Lichtbrechung
in jenem grauen Medium, wie der Regenbogen auf der Regenwand.

Die Farbenharmonie ist vom feinsten Geschmack. Er stcllt warme, leuchtende Farben,
von gesättigter Tiefe, zusammen mit kühlen oder in Grau gebrochenen, und zwar sind
die letztcren meist dem Raume nach überwiegend; eine fehr lebhafte Farbe von kleinem
Umfang (z. B. grün, karmcsinrot) schiebt sich dazwischen. Weiß giebt den Maßstab für
Wert und Ton. So finden sich z. B. Graublau, Grauviolett, Lila neben Gelb, bald hcll,
bald dunkel. Tiefes Grün und Blaugrün neben Trübrosa mit breiten blassen Lichtern;
Dunkelblau und Orangebraun, Hcllblau und Pfirsichblüte. Jn unserem Bilde der heiligen
Anna herrschen gelbe und gelbbraune Tinten, nebst mattem Karmesin und wenig Grün.

So kann Murillo in Tagesbildern ganz farbig sein, ohne Pauscn farbloser Schatten,
und wird doch nicht bunt. Die der dunklen, kalten Seite des Farbenkreises angehörigen
 
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