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Gemälde kleincren Uinfnngs.

lich in Auseinandergehen und Handlung. Wie viele Abtönungen in der Figurendiagonale
von dcm Bcttler vorn bis zum tafclnden Reichen oben sind hier unterschieden.

Nirgends kann man sich von dem sogenannten estilo vaporoso eine gnnstigere
Vorstellung machen, als in dcr Marter des heil. Andreas, für Maler vielleicht die
interessanteste Leinwand unter den sechsundvierzig der Pradogalerie, cin Meisterstück der
Luftmalerei im Licht der Sonne.

Wir stehen vor einer Thalmulde, rechts und links bedeckt und überragt von
Trümmern altrömischer Bauten, wie ein zerfallener Circus; die Lust gesättigt von Licht
und Staub eines südlichen Mittags; von der Sohle bis zum Rand besetzt von Gruppen,
aus deren Mitte das hohe Kreuz des Apostels hervorragt. Drei Massen sind nach der
Tiefe zu unterscheidcn: dcr Vordergrnnd mit der Umgebung des Kreuzes in gesättigten
Farbcn, rot, blau, links dunkle Gestalten mit Neflexlichtern, rechts Leute im Sonnenlicht;
die Mitte in gelbbräunlichem, die Ferne: unkörperliche Schatten in hell cyanblauem Ton.
Ein scheinbares Chaos ist hier berechnet, geordnet, lebhaft und mannigfach bewegt; jede
Figur, jede Einzelheit wohlverstanden: von den korinthischen Tempelhallen bis zu
Spaten und Beil am Fuß des Kreuzes. Und doch ist alles — durch Verkürzungcn,
Schatten, Wendungen — so vollkommen der Hauptfigur untergeordnet, daß das Auge
stets zu ihr zurückgezogen wird, wie zum Pharns im Toben der Brandung. Ja eigent-
lich nur diese von lichtgelben Wolken umrahmte, der irdischen Qual schon entrückte Ge-
stalt ist Sein, Wirklichkeit, alles übrige ist nur Menge, Bewegung, Schein.

Ob er die sast gleich große Bekehrung des Saulus als kontrastirendes Gegenstück
gemalt hat? Der Vorgang ist in den Einbruch der Nacht verlegt, man erkennt das
nahe Damaskus im letzten Schein des Abends. Aber die Leinwand ist zum größten Tcil
angefüllt von einer schwärzlichen Wolke, in deren Dunkel die Begleiter fast ganz versinken.
Ein von der Erscheinung ausgehender gelber Lichtstrahl trifft den rückwärts gestürzten
Verfolger. Mit richtigem Takt hat er begriffen: was seine Kunst hier versinnlichen solltc,
es war jenes Zwiegespräch, keinem anderen Ohr vernehmbar, der alleinige Jnhalt der
ihm aufgetragenen Geschichte. Die vorgebeugte Gestalt in der Wolke — der zartblanc
Mantel nach hinten flatternd — sie ist das Warum? voll sanften Vorwurfs; die aus-
gestreckte Rechte des niedergeworfenen Mannes die Gegenfrage: Wer bist dn? Große
Künstler haben in diesem Geistesvorgang von weltumgestaltenden Folgen nur den Anlaß
begrüßt, in einer jähen Reiterpanik ihr Können auszustellen. Die Künste, welche sie auf-
boten, um den Betrachter zu zerstreuen, Murillo benutzte sie, nm die zerstreuende Ver-
breitung dieser Seelengeschichte im Toben äußerlicher Wellenringe gebührend beiseite
zu schieben.
 
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