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Čižek, Franz [Hrsg.]; Kastner, Hermann [Hrsg.]
Das freie Zeichnen: ein Weg für den Unterricht im Zeichnen nach Natur- und Gebrauchsgegenständen — Wien, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.20028#0009
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DAS ZEICHNEN NACH DER NATUR

Alle Zielangaben für den Zeichenunterricht sind stilistische Variationen über die Themen:
. Bildung des Auges, Ertüchtigung der Hand, Pflege des Schönheitssinnes und Kultur
des Ausdruckes. Auf welche Forderung dabei das Hauptgewicht gelegt werde und welchen
Wandlungen der Zeichenunterricht an allgemein bildenden Schulen in der Zukunft auch
unterworfen sein möge, immer wird das Arbeiten nach Naturobjekten einen wichtigen
Teil unseres Gegenstandes ausmachen müssen. Denn es dient durch die Schulung des
Auges und durch das Erwerben eines großen Besitzes an Formen aus Natur und Leben
nicht allein dem Zeichner selbst, sondern durch das Dienstbarmachen dieses wichtigsten
Sinnes und durch seine Methoden, sehen und die Logik der Formen begreifen zu lernen,
dem gesamten Unterrichte.

Auf den Unterstufen der Volksschule arbeiten die Kinder nur aus der Vorstellung,
ohne Modelle, als Fortsetzung ihrer liebgewordenen Kinderstubengraphik. Sie blicken in
sich hinein und holen ohne vieles Überlegen aus ihrer Vorstellungswelt, was sie haben
und wie sie es haben. Der Kampf um die, wenn auch nur kindertümliche (altersgemäße)
Wahrheit führt die kleinen Zeichner von selbst zur Natur hin. Not öffnet ihnen die
Augen für das Wirkliche umsomehr, als sie durch ihre Bemühungen um die Form erst
die Fähigkeit erlangt haben, vieles zu sehen, was früher durch geringeres Interesse
trüb war. Der schulende Lehrer wird erst sehr sparsam, dann öfter die Gelegenheit
zur Klärung der Anschauungen unaufdringlich herbeiführen, dabei aber das naive Schaffen
ängstlich vor jener für das Kind vorläufig noch unerschwinglichen Wahrheit schützen,
die seinen eigenen Ausdruck unwiederbringlich auszulöschen droht.

Je höher hinauf, desto mehr drängt sich die Natur vor, bedingt durch eingehenderes
Wissen und unter dem Einflüsse des ganzen Unterrichtes, der immer wieder von der
Anschauung, von dem wirklichen Leben ausgeht. Der Schüler richtet jetzt mehr als
sonst, oft auch auf Kosten des ungehemmten phantasiemäßigen Schaffens, seinen Blick
den Erscheinungsformen der Umwelt zu. Doch es gähnt eine Kluft zwischen dem Arbeiten
aus der Vorstellung und dem direkten Zeichnen nach der Natur wie zwischen Innen-
leben und Außenwelt, Phantasie und Wahrheit. Der Fall liegt psychologisch vielleicht
so: Das junge Kind ist durch seine Phantasie so gefangen, daß es der Wirklichkeit
nicht gelingt, seine schöpferische Arbeit zu unterbinden. Der Darstellungsdrang setzt
sich um jeden Preis über Nichtwissen und Nichtkönnen hinweg. Der spätere Unterricht
führt aber durch sein Eingehen auf das Wesen der Erscheinungen vielfach zur Selbst-
kritik. Diese nimmt, je höher hinauf, desto mehr zu und ist imstande, das phantasie-
mäßige Schaffen völlig auszulöschen und dafür das verstandesmäßige Zeichnen zu setzen,
das sich um Bau, Form, Farbe, Licht, Schatten, um Kontur und Gesamterscheinung der
Dinge bemüht.

Diese Erwägungen sind dank der Reform heute schon in guten Lehrplänen berück-
sichtigt. Sie verlangen für die Unterstufe der Volksschule ausschließlich das Schaffen
aus der Vorstellung, das allerdings während der ganzen Schulpflicht seinen berechtigten
Platz beibehält, je höher hinauf, allerdings mit der Begabungsrichtung rechnend, desto mehr
das Arbeiten nach der Natur. Weil aber dieser Sprung nicht unmittelbar möglich ist, setzt
die neuere Methode das indirekte Naturzeichnen dazwischen. Es wird folgender Weg
eingeschlagen: Es soll ein Gegenstand, irgend ein Werkzeug (die Schere) gezeichnet
 
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