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Kerschensteiner, Georg
Die Entwickelung der zeichnerischen Begabung: neue Ergebnisse auf Grund neuer Untersuchungen — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.27816#0470
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450

Die Entwickelung der zeichnerischen Begabung.

Stoffe des heimat-
kundlichen Unter-
richtes.

das unbefangene und nicht eingeschüchterte Kind vor der graphi-
schen Darstellung keiner Vorstellung zurück, wenigstens solange
es auf der Stufe des Schemas steht. Es zeichnet alles, was ihm
einfällt und am liebsten das Schwierigste, was es überhaupt für
den graphischen Ausdruck gibt, den Menschen, genau ebenso wie
es in der Zeit des Sprechenlernens an alle Wortbildungen sich
heranwagt und da, wo Auffassung und Organ versagen, seinen
eigenen Ausdruck bildet. Solange daher das 'Kind auf der Stufe
des Schemas steht, und das währt nach unseren vorausgegangenen
Untersuchungen bei den Knaben etwa bis zum vollendeten neunten,
bei den Mädchen bis zum vollendeten elften Lebensjahre, kann die
Stoffauswahl keine Schwierigkeiten bereiten. Ein systematischer Zeichen-
unterricht ist auf dieser Stufe im allgemeinen ebenso ausgeschlossen,
wie ein systematischer Sprachunterricht, solange das Kind auf der
Stufe des Stammelns steht. Die Auswahl des Stoffes wird lediglich
dadurch eine nähere Bestimmung finden, dass der Zeichenunterricht
mit dem Anschauungs- und Sachunterricht zusammen der Vor-
stellungsausbildung dienen muss. Er wird sich also in den unteren
und mittleren Klassen eng an die Stoffe des Anschauungs- und heimat-
kundlichen Unterrichts anschliessen müssen. Bei dem Reichtum dieser
Stoffe kann der jeweiligen Beanlagung des Kindes ein ausgiebiger
Spielraum gewährt werden. Hinzuzutreten haben lediglich geeignete
Übungen der Hand bezw. des Armes, damit das ausführende Organ
des graphischen Ausdruckes den Vorstellungsimpulsen mehr und
mehr gehorchen lerne. Ich habe den gesamten Anschauungsunter-
richt der zwei unteren Klassen in jüngster Zeit gemäss meinen Dar-
stellungen in den ,,Betrachtungen zur Theorie des Lehrplanes“*) an eine
kleine Zahl in sich abgeschlossener Aufgaben geknüpft, Aufgaben,
wie: Am und im Trambahnwagen, am Weihnachtsbaume, auf dem
Eise, bei der Näherin, in der Kirche, am Aquarium, am Vogelkäfig,
am Bahnhof, im Bauernhof, im Schulhaus, am Neubau, an der Uhr,
im Brausebad, in der Küche, beim Schreiner, beim Schlosser, im
Waschhaus, im Schulgarten, am Terrarium, bei der Obstlerin, im
Kaufladen. Die Behandlung dieser Aufgaben im Beobachtungsunterricht
führt das Kind an eine Fülle von Gegenständen heran, an denen es
seiner Begabung entsprechend die graphische Ausdruckfähigkeit ver-
suchen und entwickeln kann.

Ganz ähnlich sind im heimatkundlichen Unterricht der beiden
Mittelklassen jedem Schuljahre 8 bis io Aufgaben zugewiesen, aus

*) Betrachtungen zur Theorie des Lehrplanes, II. Auflage, München, 1901,
Verlag von Carl Gerber.
 
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