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Kerschensteiner, Georg
Die Entwickelung der zeichnerischen Begabung: neue Ergebnisse auf Grund neuer Untersuchungen — München, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.27816#0472
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4)2

Beschränkung der
Stoffauswahl
beim Beginn des
systematischen
Zeichen-
unterrichts.

Die Entwickelung der zeichnerischen Begabung.

und die Eitelkeit des Zeichenlehrers befriedigen kann. Aber auf
diese Weise wird eine vorzügliche Basis geschaffen für eien nunmehr
beginnenden systematischen Unterricht im Zeichnen.

Mit dem Beginn dieses Unterrichts hört selbstverständlich die
Willkür in der Stoffauswahl auf. Neben das Was? der Darstellung
tritt nun auch das Wie? in den Vordergrund. Denn die Menge
der Beobachtungen, die das Kind um diese Zeit schon am Gegen-
stände macht, wirkt auf die Darstellung selbst zurück. fetzt
muss das Kind lernen aus der Fülle der Einzelheiten eines
Gegenstandes das Charakteristische herauszufinden und deutlich zum
Ausdruck zu bringen; es muss Hunderte von Farben und Formen
bewusst übersehen lernen zugunsten einiger weniger für die cha-
rakteristische Darstellung unbedingt notwendiger Formen und Farben.
Es muss angeleitet werden, eine Gesamtform aufzufassen, wo ihm
tausend Einzelformen verwirrend entgegentreten. Es "handelt sich
mit einem Worte darum, das Kind zu erziehen, mit der grössten
Sparsamkeit der Mittel einen höchst charakteristischen Ausdruck zu
erzielen, worin zugleich das Wesen aller künstlerischen Darstellung
überhaupt beruht.

Hier ist aber die Stelle, wo die sogenannten Methodiker auf-
einanderplatzen, wo die zahllosen Dilettanten unter den Zeichenlehrern
die gröbsten Fehler begehen, wo aber auch gutbegabte Leute ihre
alleinseligmachenden Lehrgänge erfinden, wo einst ein Weishaupt und
ein Herdtle, ein Stuhlmann, ein Lachner den Stein der Weisen entdeckt
und mit ihm Jahrzehnte Schule gemacht haben, und auch in der Zukunft
neuauftauchende Meteore des Zeichenunterrichts ihren höchsten Glanz
und ihr sternschnuppenartiges Verschwinden erleben werden. Hier ist
die Stelle, wo die Begeisterten so leicht dogmatisch werden und infolge'
der Zwangsjacken, die sie der Methode stricken, andere weiterschauende
aber pädagogisch unerfahrene Männer veranlassen, alle methodischen
Erfahrungen überhaupt über Bord zu werfen und alles zu ver-
dammen, was ‘bisher in mühsamer Arbeit gewonnen wurde. Hier
ist auch die Stelle, wo Utilitarismus oder Überschwenglichkeit ihre
Orgien feiern.

Gegenüber den Hunderten von Vorschlägen, die hier aufgetaucht
sind, werden wir nur dann einen festen Standpunkt gewinnen, wenn
wir einesteils die von uns gebilligte Aufgabe des Zeichenunter-
richtes fest im Auge behalten und andernteils die Beschränkungen
nicht ausser acht lassen, welche die jeweiligen Verhältnisse allen
Schulorganisationen sowie der jeweilige Begabungszustand des Kindes
uns auferlegen.
 
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