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Kunstgewerbliche Rundschau: Verkündigungsblatt des Verbandes Deutscher Kunstgewerbevereine — 3.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8033#0087
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Formen schncll znr neuen Blüthe entwickelt hat. Die Nancyer
glauben mit Unrecht, verxflichtet zu sein, mit den alten, guten Tech-
niken zu brechen, um neue künstlerische Anschauungen zur Geltung zu
bringen. Trotzdem kann man ihnen für die Wiedererweckung der
Ledermosaik dankbar sein. Die beideu Ukeister, die der Ledermosaik
das sind, was Galle für das Utobiliar und das Glas bedeutet,
sind Victor jdrouve und Lamille Martin. prouve ist gleich-
zeitig Bildhauer und hatte vor Aurzem in L'Krt Nouvecm in Paris
eine Broncecomposition ausgestellt, die seine starke decorative und
bildnerische Begabung verrieth, zugleich aber auch die tyxische ver-
kennung der Grenzeu des Gebietes wiedersxiegelte. Es war ein
Anäuel von ausgezeichnet modellirten Nenschenleibern, die von einei
Welle verschlungen zu werden scheinen; diese Velle bog sich oberhalt
der Mcnschenleiber zu einer schüsselförmigen Rundung aus und solltc
nach der Bezeichnung zu einem xraktischen Zweck, also wohl als
Fruchtschale oder dergleichen, dienen — ein geradezu monströser
Gedanke. Prouve ist entschieden am besten in der Ledermosaik am
jdlatz, wo er allein und mit Tamille Martin zusammen bereits eine
Menge entzückender Bucheinbände, Maxxen u. dergl. gemacht hat. Mit
Vorliebe und in der Regel mit bestem Lrfolg, namentlich für einfarbige
Lachen, werden sapanische Mo-
tive, einfache Blättercompositi-
onen rc. benutzt. Der Mosaik
kommt die glänzende coloristische
Lartonkunst, die in Paris einen
außerordentlichen Aufschwung
genommen hat, zu Gute. thier
verstehen es prouve und Martin
meisterhaft, mit großen Ltrichen
und ein j)aar gut gewählten
Farben, mit der richtigen ver-
theilung des Raumes ganz mo-
derne, decorative Mirkungen zn
erzielen, die größten Reiz besitzen.

An diese Beiden schließen
sich verschiedene jüngereKünstler
an: Iacques Gruber, Louis
Guingot, Renö wiener
und Andere, unter denen der
Letztgenanntediehervorragendste
Stellung einnimmt, nicht nur
weil er selbst tüchtige Arbeiten
fertigt, sondern weil er, von
thaus aus Geschäftsmann und
einer der ersten Buchhändler
Nancys, der Entfaltung des
Gewerbes seine ökouomischen
Aräfte zur verfügung stellt. In seinem Auftrage haben alle Nancyer Leder-
künstler Arbeiten ausgeführt, für die sie ohne ihn ini Anfang jedenfalls
schwieriger Verwenduug gefunden hätten. Lr selbst hat nach eigenen
und fremden, darunter Lautrec und Grasset, Lntwürfen Ledereinbände
hergestellt; uuter den eigenen interessirte mich am meisten ein Linband
zu dem Werk Geffroy's über Larries, auf dem er in überraschender
Weise die den Larries'schen Poterien eigenthümlichen Ueberlaufglasuren
nachgeahmt hat. Der Linband war in dem diesjährigen Lbamp 6e
IVIars ausgestellt. Freilich vermißte man bei diesen und bei ähnlichen
Arbeiten jede Stilisirung, ein Mangel, der sehr schwer in's Gewicht
fällt, sobald man die Linbände anderer moderner Kunstländer, nament-
lich Lnglands, Amerikas und Dänemarks, zum Vergleich heranzieht,
und der jede Anerkennung für die Lederküustler Nancys nur mit sehr
wesentlichem vorbehalt gelten läßt. Und daran knüpft sich sofort ein
zweiter Linwand:

Schade, daß so viel kostbare Arbeit nur sehr wenigen Leuten zu
Gute kommt. Die Einbände werden immer nur in einem Lxemxlar
für irgend einen reichen Biblioxhilen gefertigt und verschwinden so,
ohne dem Gewerbe intense Anregung zu geben. Es wäre sehr zu
wünschen, daß ein geschäftlicher Fachmann wie Mener einmal einen
guten und für Massenfabrikation geeigneten Linband vervielfachen ließe.
Damit könnte der mit Ausnahme oben genannter Länder überall traurig
vernachlässigten Buchbinderbranche, die früher, zuerst in Leixzig, vor jetzt
gerade 200 Iahren ihre gläuzenden, eigenen Innungen hatte uud jetzt

nirgends so tief steht wie in Deutschland, wesentlich geholfeu werdeu. —
Ls ist eine merkwürdige Ironie, daß das Luxuskuustgewerbe in der
Rexublik Frankreich und in andereu sxecifisch deinokratischen Staaten und
zu einer Zeit emxorblüht, in der das Gewerbe selbst vollkommen am
Boden liegt. Ls ist ein Ieichen dafür, daß das Gebiet der Kunst
gehört und nicht dem Gewerbe. Früher war es umgekehrt. Die
großen Nüruberger gingen aus dem Gewerbe hervor, und damals ver-
leitete die Betrachtung solcher Luxusliebhabereien nicht zu socialen
Alageliedern; denn hinter dem Luxus stand ein herrliches Gewerbe,
das sich auch im Anscheinbarsten und gerade da künstlerisch offeubarte;
der Uuterschied war nicht so grausam, denn auch das Ding des Armen
war gut, weil es nichts Schlechtes gab.

Mir liegt nichts ferner, als sociale Reflexionen in künstlcrische
Fragen zu mengen. Der Niedergang des Gewerbes hat kommen
müssen, weil die Maschine kam. Die Maschiue theilt die Geschichte
des Gewerbes in zwei große Abschnitte, den ohne sie und den mit
ihr. Der, den sie einleitet, ist im Anfang so xrimitiv, wie die Zeit,
da die ksand des Milden die ersten versuche machte, sein kfausgeräth
zu fertigen. Aber die Maschine ist eutwickeluugsfähig, wie die
mauuelle Geschicklichkeit des alten kjandwerks, und die Redeusart vom

Fluch der Maschine, die uns die Massenfabrikation bescheert hat, wird
bald ein Märchen sein. Freilich sind es neue Bahnen, in die das neue
Mittel unser Gewerbe lenkt, Bahnen, die erst gefunden werden müssen,
oder die uns vielmehr zum Bewußtsein kommen müssen; denn sie
liegen nicht außerhalb unserer Zeit, sondern sind mit ihr logisch und
natürlich verknüpft. Nur für die alte Zeit ist das neue Mittel der
Fluch, nie wird die Maschine die Merke unserer Renaissauce oder die
anderer vergangener Lxochen nachzubilden vermögen, ohne die traurigen
Larricaturen hervorzubringen, mit der sie heute 99 procent der ge-
bildeten Menschheit umgeben müssen. Ls gilt, ihr die richtigen Auf-
gabeu zu stellen, es gilt, vor Allem das prestige, das Maschine uud
Kunst für unvereinbare Begriffe erklärt, niederzureißen. Das könnte
nirgends natürlicher als in Nancy vor sich gehen, wo die Kunst endlich
einmal in die lhände des Fabrikanten gelangt ist, der moderne j)ro-
ductionsverhältnisse beherrscht. Bisher leben zwei 5eelen in der Brust
des Nancyer Fabrikanten, die eine treibt ihn, Schund für die große
Masse zu machen, um zu leben, die anderc treibt ihn zum überraffi-
nirten Luxus, um zu genießen. Ls ist unmöglich, die eine zu
Gunsten der anderen definitiv auszuscheiden, nicht dahin darf der N)eg
führen. Lrst wenn aus den Beiden eine Linheit wird, der der xrin-
cixielle 5chund für die Masse so unnatürlich ist wie das xrincixielle
Luxusgewerbe für Wenige, wird Nancy vollen Ansxruch haben, in
der Entwickelung des modernen Kunstgewerbes eine entschiedene Führer-
rolle einzunehmen. Meier-Gräfe.

xzj. Bucheinband in Ledermosaik von j). Berton.


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