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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 23.1873

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Schmädel, Josef von: Ueber die Weltausstellung in Wien i. J. 1873, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9048#0034

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Zeitschrift

des

Kunst -Gewerbe-Verei n s.

Treiundzwanzigster Jahrgang.

München. S ^ MO. 1873.

Die Zeitschrift erscheint inonallich mit wenigstens zwei Seiten Text und zwei Kunstbeilagen. Die Vereinsmitglieder erhalten die Zeitschrift unentgeltlich. Im Buch-
handel kostet dieselbe 4 fü s. W. — 2 Thlr. 12 Sgr. der Jahrgang. Inserate geeigneten Inhaltes werden mit 6 kr. — 2 Sgr. für den Raum einer gespaltenen
Petitzeile berechnet. Ständige Inserate erhalten eine entsprechende Preisermäßigung. In- und Auswärtige wollen sich dieserhalb an die Buchhandlung von

Theodor Ackermann dahier wenden.

Ueber die Weltausstellung in Wien i. I. 1873

von Joseph v. Schmädel, Architekt.

(Fortsetzung.)

II. Deutschland.

Selbsterkenntniß ist nicht nur bei deni einzelnen Menschen als
der Inbegriff hoher Vollendung aufzufassen; sie ist auch für ganze
Nationen die Triebfeder zu höchster Steigerung ihrer Kulturbestreb-
ungen und zu vollständigster Entwicklung des großen gemeinsamen
Gutes der Civilisatiou. Ist es nun schon für das einzelne Indi-
viduum ungeheuer schwierig diesen Grad moralischer Stärke zu er-
reichen, so ist dies noch viel mehr der Fall, wenn dieser wichtige
Faktor nationaler Gesundheit zum Charakterzuge eines ganzen Volkes
werden soll. Gerade deshalb aber ist cs nothwendig, keine Gelegenheit,
welche die Hebung dieser hohen Tugend ermöglicht, vorübergehen
zu lassen und aus den großartigen Veranstaltungen der Neuzeit,
welche die Gesammtproduktivu der Menschheit in allen Zweigen der
Kultur zur Anschauung bringen, diejenigen Schlüsse zu ziehen, die
einer Nation zu dieser Selbsterkenntniß verhelfen. Diese Aufgabe
in ihrer ganzen Größe zu lösen, ist nun allerdings nicht der Zweck
dieser Zeilen, aber sie sollen wenigstens von dem Geiste, ein Schärf-
lein zu dieser Lösung beizutragen, durchdrungen sein.

Teulschland, das im Verlause der letzten Jahre die Augen der
ganzen Welt in so außerordentlicher Meise auf sich gezogen hat,
hat es vor allen anderen Nationen nöthig, sich nicht nur klar über
seine große Bedeutung im Völkerreigen, sondern auch klar über seine
Schwächen und Mängel zu sein, besonders wenn dieselben wohl zu
ändern und zu bessern sind.

Als ich zum ersten Male die Räume der Ausstellung des
deutschen Reiches durchschritt, als ich mit Mühe und Nolh ein
oberflächliches Gesammtbild des Ganzen in mir ausgenommen hatte,
da war das erste Gefühl das der grenzenlosesten Verstimmung.
„O warum hast du mir das gethan!" So könnte das deutsche
Reich mit Fug und Recht seiner Ausstellungs-Koniinission zurufen;
denn wahrhaftig zu einem Trödelmärkte ist denn doch die Produk-
tion unseres Volkes nicht schlecht genug und so schlimm es klingen
mag, der erste Eindruck ist und bleibt der eines Trödelmarktes.
Es ist, als ob man all das viele viele Gute und Ausgezeichnete
mit rasfinirter Geschmacklosigkeit und einein Wüste von Unbedeuten-
dem sofort wieder hat unterdrücken wollen. Ich hätte Andersen,
der berühmte Märchendichter sein mögen, um es verstehen zu
können, was sie sich alles erzählten die armen armen Ausstellungs-
Objekte; gewiß sind es gar traurige Geschichten, die sie sich zu-
flüstern, und die alle von einer schlimmen, bösen Hexe handeln, welche
mau eigentlich nicht nennen darf, aber bei den deutschen Menschen-
kindern „Reichskommission" benamset hat.

Man macht sich kaum einen Begriff, welch haarsträubenden
Eindruck besonders manche Parthieen der deutschen Abtheilung Her-
vorbringen. Ich führe als Beispiel nur die Platzirung und das
Arrangement der Gruppe XXIII „Christliche Kunst" an. Wendet

mau sich nämlich gleich nach dem Eintritte durch das in seinem
hochrotheu Aufputze grell schreiende Hauptportal der Ausstellung des
deutschen Reiches nach links, so gelingt es dem aufmerksamen Be-
obachter eine kleine Thüre zu erreichen, welche durch eine Art von
Gang in einen größeren Raum führt, der so zu sagen, die Vorhalle
zu den Schöpfungen der christlichen Kunst bildet. Man möchte nun
glauben, daß ein geschickter Arrangeur absichtlich diesen allmähligcn
und versteckten Uebcrgaug von der profanen zur religiösen Pro-
duktion gewählt habe, um durch zweckmäßige Verwendung der Vor-
halle den Besucher gradatim in eine etwas weniger weltliche und
mit gelindem heiligen Schauer durchzogene Stimmung zu versetzen.
Man wird nun allerdings von einem gewaltigen Schauer durch-
zogen, wenn mau diese Vorhalle betritt, aber von einem Schauer
höchst prosaischen Urspnmgs. Korkstöpsel, Küchengeschirre; Bade-
wannen, Kochlöffel; Schuhnägel, Holzleisten; Pelzwaaren, Zünd-
hölzer; Kinderwägelchen, Geldschränke; Marmorsäulen, Blitzableiter;
Eisengitter, Haararbeiten, und inmitten der große rohrgeflochtene,
allerdings meisterhaft gearbeitete Pavillon von Mosler & Herold
mit Roßschweifen und Halbmonden verziert, das sind die Tempel-
wächter der christlichen Kunst. Wem da noch ein Funken religiöser
Begeisterung erhalten bleibt, der kann getrost hingehen und im
Vertrauen auf die Allmacht Gottes Berge versetzen. Zwängt man
sich nun zwischen zwei Orgeln, deren Seitenflächen sehr sinnig mit
Pelzteppichen in den deutschen Nationalfarben behängen sind, hin-
durch, so steht nian im Ausstellungsräume der christiichen Kunst und
betrachtend spricht der fromme Beschauer: „Schmal und steil ist
der Weg, der zum Himmelreiche führt."

Wohl werden die Herren der Commission einer derartigen
Schilderung des Thatbestandes gegenüber darauf Hinweisen, wie
beschränkt der Platz für die Unzahl der Ausstellungsprodukte zuge-
messen war und wie es unmöglich gewesen sei, auch nur einiger-
massen die einzelnen Objekte zur Geltung zu bringen. Darauf
aber muß man erwidern, daß ein großer Theil der Schuld auf die
Commission selbst zurückfällt. Als nämlich seiner Zeit die Anmel-
dungen so massenhaft einliefen, daß der außerordentliche Platzman-
gel klar ersichtlich war, da entschloß man sich nach langem Zögern
zu der weisen Anordnung, nicht etwa eine Sichtung der eiugelaufe-
neu Anmeldungen vorzunehmen, sondern einfach jedem Aussteller
ohne Unterschied den verlangten Platz um mehr als die Hälfte zu
reduziren. Diese Maßregel hat seiner Zeit, abgesehen von allem
Anderen schon darum große Conflikte hervorgerufen, weil sie zu
spät erfolgte und eine Reihe von Ausstellern bereits an der Vol-
lendung ihrer Objekte arbeiteten und zwar in der Voraussetzung,
den verlangten Raum bewilligt zu erhalten, so daß viele gerade
der hervorragendsten Leute genöthigt gewesen wären, entweder ihren
Ausstellungsgegenstand einfach in der Mitte auseinander zu schneiden,
oder gänzlich zurück zu ziehen, wenn nicht in vielen Fällen noch im
letzten Momente der nöthige Raum bewilligt worden wäre. Das
konnte aber natürlich nur auf Kosten einer klaren und übersichtlichen
Ausstellung geschehen. Man berücksichtigte in der Reichscommission
 
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