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Türen des
Historismus in der
zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts

45 Nordeingang der Dreifältig
keitskapelle (Tür um 1880)

Zwei Bemerkungen über den Begriff und die Zeitspanne seien vorausge-
schickt, weil sie unerläßlich scheinen zum Verständnis der Kunst des 19.
Jahrhunderts und hier von Produkten des Gmünder Kunsthandwerks
und Handwerks. Ohne ein kulturgeschichtliches Ambiente müßten uns
die Erscheinungsformen der Türen letztlich unverständlich bleiben, es
sei denn, wir gäben uns mit der Beschreibung formaler Bestände zu-
frieden.

Mit Historismus, einem von Nationalökonomen geschaffenen und
gemünzten Begriff für die historisch-rezeptive Einstellung des vorigen
Jahrhunderts, wird in der Kunstgeschichte etwa der Zeitraum der Welt-
ausstellungen bezeichnet, also die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Die Wurzel dieser Bezogenheit zur Geschichte und ihrer Zeugnisse
reicht zurück bis Herder, bis zur Uberwindung der Aufklärung durch
die Romantik. Die Folge war die Auseinandersetzung mit der Vergan-
genheit, die in den Rang des Normativen gehoben, Vorbild wurde. In
der hohen Kunst und im Kunstgewerbe äußerte sich dies als Rückgriff
auf historische Stilformen. Solche Rezeptionen waren in der Mensch-
heitsgeschichte nicht neu. Man denke nur an das Verhältnis der Renais-
sance zur Antike. Neu war der fast wahllose Zugriff der Interessenten,
neu auch die fast bedenkenlose Kombination des Aufgegriffenen, neu
auch dessen Vermarktung durch Industrie und Handel. Ihrem Sog
konnten sich die Künstler kaum, die Handwerker nicht entziehen.
Zur Datierung des Historismus: Ihn schon um 1830 anzusetzen, wie es
andernorts in anderen Zusammenhängen auch mit guten Gründen getan
wird, trifft für Gmünd nicht zu. Hier hat das erinnerungsträchtige Jahr
1848 auch als kunstgeschichtliche Zäsur seinen Stellenwert. Die große
Renovierung der Pfarrkirche (Münster), die als Regotisierung bezeichnet
worden war, beginnt in diesem Jahr. Man könnte sie die Ouvertüre des
Gmünder Historismus nennen.

Mit der Erwähnung Gmünds außerordentlicher Kirche fügt es sich, hier
zuerst von der Neugotik zu sprechen. Zeitlich parallel mit dem Klassi-
zismus und danach in der Romantik erlebt die Neugotik frühe Schübe,
um dann in der sakralen Architektur des 19. Jahrhunderts vor allem seit
der Fortsetzung der Bauarbeiten am Kölner Dom in immer neuen
Bauten sich zu manifestieren. Es erscheint bemerkenswert, wenngleich
hier nur von randlichem Interesse, daß Gmünds große Kirche außerhalb
ihrer Mauern keinen neogotischen Impuls ausgelöst hat. (Man denke an
die Wirkung des Wormser Domes auf die Baukunst dieser Stadt im 19.
Jahrhundert, etwa die Nibelungenbrücke!) Vermutlich deshalb ist unser
Bestand an neogotischen Türen, die ausschließlich der Zeit um 1900 ihre
Entstehung verdanken, auch rasch aufgezählt: die beiden Eingangstüren
45 der Dreifaltigkeitskapelle (Sturz 1759 datiert), deren vier Füllungen mit
 
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