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Österreich / Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale [Hrsg.]
Kunstgeschichtliches Jahrbuch der K[aiserlich-]K[öniglichen] Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale — 1.1907

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Wickhoff, Franz: Dürer-Studien
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https://doi.org/10.11588/diglit.18129#0022
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F. Wickhoff Dürer-Studien

IV

Eine florentinische Erfindung der neuen klassischen Kunst, ganze Kompositionen oder
einzelne Figurengruppen als gleichschenklige Dreiecke zu gestalten, war von Fra Bartolomeo
ausgegangen. Es ist uns verborgen, wie sie zu Dürer kam. Er hatte immer seine Kompositionen
gerne hochaufgetürmt. Die Vorteile der neuen Erfindung leuchteten seinem geometrischen
Bedürfnisse schnell ein. Wir besitzen Dürers Entwurf zur Geburt Marias im Marienleben. Die
Ausführung unterscheidet sich davon auffällig durch eine links eingefügte Gruppe, die als
gleichschenkliges Dreieck komponiert ist (Fig. 8). Dürer behält nun die geometrisch regel-
mäßige Gestaltung der Gruppen gerne bei und gelangt in der Gruppe von Petrus und
Malchus in der Gefangennahme Christi selbst bis zum gleichseitigen Dreiecke (Fig. 9), und
zwar beide Male sowohl in der kleinen Holzschnittpassion, als in der Kupferstichpassion.
Die plastische Mannigfaltigkeit bei der Gestalt des Malchus, wo ein Reichtum an Be-
wegung auf beschränktem Räume entwickelt ist, möchte an Michelangelo denken lassen.
Es wäre jedoch ein Irrtum, denn das
von Giovanni Pisano ausgesonnene
Prinzip hatte, bis es zu Michelangelo
kam, lange Zeit gehabt, sich in der
gotischen Plastik von ganz Europa
zu verbreiten.

In Dürers letzter Lebensperiode
hatte sich die Wirkung Michelangelos
schon außerhalb Italiens verbreitet,
bei Dürer fand sie keinen Platz, er
ist am Schlüsse eines Lebens und be-
schäftigt sich noch mit dem Kompo-
sitionsschema Giov. Bellinis. Er war
keineswegs bestrebt, wie es andere
nordische Zeitgenossen machten, ita-
lienischen Problemen nachzustürzen
und sich das Fremde unverdaut ein-
zuverleiben, sondern er suchte seine Fi2- 9 Omer, Petrus und Malchus aus der Gefangennahme Christi
Naturstudien unablässig zu vertiefen.

Es war jedoch nicht zu vermeiden gewesen, daß er von einer Erfindung Michelangelos
an der Sixtinischen Decke hörte, von den Nackten mit den Blätterkränzen. Er nahm sie in die
Fülle der Motive an der Ehrenpforte auf. Ein Kranz von Maiglöckchen, bezeichnend für die
andauernde Blumenliebe aus seiner Jugend, gegenüber den Eichenlaub- und Lorbeerkränzen
der Italiener, wird beiderseits von einem Landsknechte gehalten. Diese sind hinter Architektur-
stücken halb versteckt. „Das sind", ruft Wölfflin, „deutsche Gefährten von Michelangelos
Sklaven an der Sixtinischen Decke."

Michelangelo war nicht weniger schlicht und wahrheitsliebend als Dürer, aber seine
stolze ideale Kunst beruhte auf Formbedingungen, die Dürers Realismus ganz entgegen-
gesetzt waren.

Michelangelos niederländischen Nachahmern waren die inneren Bedingungen seiner Kunst
fremd, sie hielten sich an das Außere seiner Formensprache, das sie in ihrem Dialekte
nachsprachen, und berauschten sich daran. Dürer trank nicht aus diesem Taumelkelche, das
 
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