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c>g© Dir goldene Jugendzeit.

2» einem uralten Produclen-Geschäft saßen wohl seit ->0 Jahren in
demselben Zimmer Principal und erster Buchhalter zusammen und rechneten,
zogen Posten aus, verglichen sie, snmmirten und snbtrahiiten oft bis spät in
die Nacht hinein.

Sie waren von Kind auf bekannt, hatte» auf de» Schulbänken stets
neben einander gesesten, ihre Lehrzeit in demselben Gesciäft abgemacht, und
als der Principal von seinem Vater das jetzige Geschäft übernahm, hatte
er sofort seinen Jugendfreund znm ersten Buchhalter und Proenristen
gemacht.

Sie hatten ihre Jugend miteinander verlebt, waren beide ledig geblieben
und nun zusammen alt und grau geworden.

Sie sprachen wenig, nur wenn sie sich gemeinschaftlich ihrer Jugend
erinnerte», wurden sie lebhaft, ihre fast erloschenen Augen fingen an zu
leuchten, und Ausrufe der Freude und der höchsten Wonne entschlüpften ihren
bleiche» Lippen.

Sie entsanne» sich mit großem Vergnügen, wie sie auf dem damaligen
Köpnicker Felde Wasierrüben stahlen, sie in irgend einer Lehmgrube ver-
zehrten, dann von den Besitzern und Feldhütern aufgespürt und jämmerlich
geprügelt wurden. Das Herz lachte ihnen im Leibe, wenn sie sich ihre ersten
Ranchversuche in das Gedächtniß zurückriefen. Wie sie elend stundenlang
hinter einem Zaune lagen, wimnierte» und sich krümmten, bis die gequälte
Natur sich wieder zu ihrem Rechte verhalf, und sie dann bleich und jämmer.
lich auf allen Vieren nach Hause schlichen.

„O du goldene Jugendzeit!" rief dabei der entzückte Principal ei» Mal
über das andere aus.

Im Anfang der vergangenen Woche war der Buchhalter nicht im
Comtoir erschienen. Er hatte sich mit llnwohlsein entschuldigen lassen, und
der Principal ließ ihm sage», er möge sich nur ei» paar Tage zu
Hause pflegen. Zu Ihn» wäre ja jetzt wenig und die Inventur so gut wie
beendet.

So saß denn der Principal vorgestern emsig rechnend an seinem Pult,
alS sich die Thür öffnete und der Buchhalter hereinschlich. Er sah höchst
miserabel aus. Seine Knie schlotterte» und der ganze Körper war unter
dem Pelze mit Bandagen und Tüchern umwickelt.

„Ums Himmels willen, was hast du gemacht?" rief ihm der Principal
entgegen.

„Ich habe mich meiner Jugend erinnert", sagte der Buchhalter und
knickte auf einem Stuhle zusammen.

„Der Jugend, der schönen lieblichen Zeit?" — stammelte der Principal
— „O sprich, erzähle!"

Der Buchhalter war in der Dämmerstunde durch den beschneite» Thier-
garten gegangen. Bei der Luisen-Jnsel entsann er sich, daß sie als Kinder,
wenn auf den gefrorenen Gewäffern Schnee lag, an das Ufer hinabstiegen,
Anlauf nahmen, durch den Schnee fuhren, so daß er stäubte, und auf dem
Eise darunter eine prachtvolle Schlitterbahn herstellten. Der Buchhalter sah
sich vorsichtig um. Niemand war in der Nähe zu sehe». Mit Leichtigkeit
stieg er über die niedere Einfaffung und ging auf dem beschneiten Gras an
das Ufer hinunter. Ein kräftiger Ruck nach vor», und mit dem einen Fuß
den Schnee durchschneidend und vor sich her streuend, sah er hinter sich die
schönste, dunkelglänzende Schlitterbahn herschießen. Da, gerade in der

„Da plumptest du hin!" rief der eifrig folgende Zuhörer.

„Nein", sagte der Erzähler, „ich brach ei», und zwar gleich bis unter
die Arme. Allein konnte ich mir nicht heraushelfen, in der Nähe war
niemand, das Wasser war eisig kalt, und so fing ich schnell an zu erstarren.

„Entzückend!" warf der Principal ein.

„Zu meinem Glück", fuhr der Buchhalter fort, „kam ei» Schutzmann
dazu. Er hals mir heraus, brachte mich auf die Promenade hinauf und —

„Und dann setzte es was!" rief der aufgeregte Zuhörer.

„Nein, gehauen hat er mich nicht", versicherte der Buchhalter den
enttäuschten Principal. „Er schrieb meinen Namen aus und brachte mich
sogar bis an die nächste Droschke, denn meine Kleider waren ganz steif zu
Eis gefroren. Wenn der Gute mir nicht um die Knie herum Lumen ge-
schlage» hätte, würde ich in der Droschke nicht haben sitze» können."

„Gerade wie in der Jugend, o schöne Zeit!" jubelte der Principal.

Der Buchhalter mußte dann drei Tage schwitzen und sollte jetzt noch
einige römische Bäder nehmen. Als er wieder gegangen war, setzte sich der
Principal an die unterbrochene Arbeit, rechnete, verglich, fummirte, zog ab
und stellte zuletzt den Jahresabschluß mit 243 000,74 Mark Reingewinn fest.

Dann schloß er das Hauptbuch ein, warf einen schmachtenden Blick
gegen den Fußboden des ersten Stockes und rief mit Thränen im Auge:
„O du goldene Jugendzeit!"

Der größte Erfolg.

Stolz steht nach ihres Ziels Erreichung
Jetzt die dramat'sche Piuse da;

Denn auf die Bühne glücklich ja
Gebracht ist die Gehirnerweichung.

Ein seltenes Fest.

Eine seltene Feier vereinigte gestern das Personal der „Freisinnigen
Zeitung". Das Blatt beging näinlich den zehntaujendsten Abdruck deS Wortes
„Reptilienfabrikat", welches für alle Fälle in zweihundert Exemplaren
stereotypirt vorräthig gehalten wird.

Am Vorabend brachten die Austräger deS Blattes dem hochverdienten
Begründer ein Ständchen, indem sie unter seinem Fenster zwei Stunden lang
die Nachtausgabe, ausriefe». Leider erlitt die Feier eine Störung, indem
gerade in dem Augenblick, wo der Gefeierte seine Dankrede begann, die von
den Nack barn requirirte Polizei erschien und die Musikanten auseinandertrieb.
Sv wurde man wieder einmal in unliebsamer Weise daran erinnert, daß wir
unter der Puttkamer'schen Willkürherrschaft leben.

Gestern Morgen erschien dann das gejamnite Personal zur feierlichen
Beglückwünschung bei dem Abgeordneten Richter. Die Setzer überreichten
ein' kalligraphisch hergestelltes Verzeichnis; aller Krajtausdrücke, deren sich die
„Freisinnige Zeitung" z» bedienen pflegt. Es waren 97.7 unzweifelhafte
Schimpfwörter und 332 mehr oder weniger bedenkliche Bezeichnungen. Der
verantwortliche Redactenr brachte eine» mit Trauerrand und schwarzer Schleife
verzierten Bogen dar, auf dem die bisher gezahlten Geldstrafen verzeichnet
waren. Die allerliebst ausgeführte Schlußvignette zeigte ein vergittertes
Fenster. Die vereinigten Reporter sprachen in einer schwungvoll abgesaßten
Adresse den Wunsch aus, daß der verdiente Begründer des Blattes den Ehren-
titel eines „Wirkliche» Geheime» Redacteurs" annehmen möge.

Später vereinigte ein einfaches Festmahl, dessen Gänge mit bester Kunst-
butter zubereitet waren und bei dem der Schnaps nicht gespart wurde, alle
Betheiligten.

Rismaeck der 2f nijf lieft sjiif,;.

Die „deutschfreisinnigen" Blätter stimmen darin überein, daß der
I I. und l 2. Januar d. I. für den deutschen Reichskanzler keine glücklichen
Tage gewesen sind.

Schad't nichts!

Bismarck hat doch wenigstens ein paar glückliche Tage einmal gehabt,
>804, >860 und >870. Windtborst, Hasenclever und Richter aber
hatten bis jetzt immer Pech. Mögen sie doch endlich auch einmal die glück-
lichsten Tage ihres Lebens feiern — wenn diese es waren, selbstverständlich!

Die Zesjleiister.

Die Gespenster auf die Bühne
Bracht' uns Ibsen. Hoch der Kühne!
Nun ein Kühnrer sei zur Hand,
Welcher die Gespenster bannt!

Die TT er Han u tc u.

Ein englisches Wochenblatt hat seine Leser zur Entscheidung der Frage
aufgefordert, wer als der größte Mann der Gegenwart zu betrachten sei.
32 744 Stimme» sind anf Gladstone, 32 247 auf den Fürsten Bismarck
gefallen. Dann folgen Tennyson, Lesseps, Salisbury, Moltke,
Churchill. Wo bleiben Richter und Windthorst?

-U e» e E i s f> ,r h ».

Ein kluger Berliner HauSwirth hat auf dem flache» Dach seines vier
Stock hohen Hauses eine Eisbahn gegoffen, welche der Neuheit der Idee und
. der Schönheit der Aussicht wegen stark besucht wird. Die Telephondrähte
j lassen sich sehr gut zum Aushängen der beim Laufen überflüssigen Gardervbe-
! stücke benutzen.
 
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