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Es ist heraus! Dem schier unglaublichen Scharfblick, der erstaunliche»
CoiubiuaiiouSgabc, dem unverzagte» Todesmulh unseres Specialcorrcspoiidentc»,
Monsieur A lp honso Schwindel er (sprich: Schwäugdcleh), ist es nun ge-
lungen, das ungeheure Geheimniß ausfindig zu niachc», das die deutsche
Regierung bisher tvie ihren Augapfel gehütet hat.

Als der besagte Herr die Straßen der barbarischen Hauptstadt durch-
schlenderle, in tieseS Sinnen darüber versunken, warum wohl die französische
Hauptstadt ein stark befestigter, die deutsche dagegen ein offener Platz sei, siel
ihm eine merkwürdige Erscheinung aus. Fast in allen Straßen der Rcsidenz
thürinten sich haushohe Berge von Sand, Schutt, Schlamm und Steinen, auf
und Tausende von Arbeitern waren mit Lust und Eifer beschästigt, die Fahr-
dämmc der erwähnten Straßen in breite und tiefe Canäle umznwandelu.
Eine jähe Ahnung durchblitzte das kühne Gehirn unseres Correspondenle»,
und seine emsigen und unermüdlichen Nachforschungen haben diese Ahnung
in der Thal bestätigt. Hier in kurzen Worten das Resultat seiner epoche-
machenden Entdeckungen: Berlin soll in eine Seefestung umge-
wandelt werden.

Binnen eines halben Jahres wird Berlin von einem vollständigen
Canalnetz durchzogen sein, dessen Großartigkeit die der berühmtesten Seestädte,
ivic Amsterdam, Venedig und Leipzig, ivcit hinter sich läßt. Rings um die
Stadt sind ungeheuere Wasserreservoirs ausgegraben, tvie z. B. der Wannsee,
Schlachtensee, Halensee, Plötzcnsee (nach dem bekannten französischen Sprach-
lehrer Plötz so genannt), der Rumnielsburgcr und der Neue Sec. Diese
Reservoirs, die aus den städtischen Wasserwerken gespeist werden, sind von so
ungeheueren Dimensionen, daß sich bereits jetzt Scevögel, besonders Möwen
und wilde Enten, in großer Menge um Berlin angesunden und nieder-
gelassen haben.

Nun sind gegen Rußland und Frankreich nach Osten und Westen
Beobachtungspostcn ivcit vorgeschoben. Gegen Frankreich hin der sogen.
Wasserlhurm von Westend und Zehlendorf, gegen Rußland Wcißcusec und

Rummelsburg. Rückt der Feind von irgend einer oder von beiden Seilen
an, so wird vermittelst eines elektrischen Siemens und Halske ein verab-
redetes Signal gegeben und sogleich aus dem Rathhausthurme die Nothjlagge
gehißt. Aus dieico Zeichen flüchten die Berliner ihre gesammte bewegliche
Habe, ihre Weiber, Kinder und Schätze, ihre Nenaissancemöbcl, Bricsinarlen-
sammluugen, Papageien, gestohlenen Pcndülen und Oeldruckbilder in die
benachbarte starke Festung Spandau, lind nun ivird der im Stillen aus-
gebriitcte teuflische Plan ins Werk gesetzt. Die Schleusen der oben genannte»
Reservoirs werden gleichzeitig aufgezogen, und binnen einer halben Stunde
mit Hilfe jenes Caualnctzcs Berlin ans zwei Meilen im Umkreis so hoch
unter Wäger gesetzt, dag nur gerade noch die Stadl und Ringbahnziige
kiiapp verkehren können. Natürlich müssen die heranrückendcu feindlichen
Heere, wenn sie hierauf nicht gefaßt sind, elendiglich ersaufen.

Alle erwachsenen männlichen Berliner bereiten sich ans den sreiivilligeti
Seedienst in großartigem Maßstabe vor. lieberall, bei Trcploiv, bei Stralau,
bei Schildhorn und tvie die barbarischen Ortschaften alle heißen, lagern starke
Flotille» größerer und kleinerer Fahrzeuge. Natürlich sind es Torpedo- und
kleine Kanonenboote. Die ganze Spree wimmelt von sogen. Spreedampsern,
deren harmlos aussehender Holzanstrich für ein geübtes Auge die darunter
befindlichen Panzerplatten mit Kanonenluke» nicht verbergen kann. All diese
Kriegssahrzeuge haben den Zweck, einerseits Berlin zu vcrprovianiiren,
andererseits bei der lleberschwemmung diejenigen Feinde, die sich etwa »och
durch Schwimmen retten wollen, aufzufangen und zu vernichten. Auch ver-
sichert ein glaubwürdiger Zeuge, daß alle Häuser in der Wilhelmsiraße,
insbesondere das Reichskanzleramt, mit Torpedos vollgepfropft seien und daß
in allen neugebaute» Häusern die Badewannen so eingerichtet wäre», daß sie
im Rothfall auch als Ruderboote benutzt werden könnte».

Werden sich die Berliner ärgern, wenn ihr sorgsältig gehütetes Geheimniß
aus diese Weise ans Licht kommt! Unsere Jnvasionshecre aber werden gut
thun, eine Anzahl Luftballons mit Gondeln mitzuführen, um dadurch im
Nothsall immer über Wasser bleibe» zu können.

ilepoctecs S o n n t n g s f i c if.

Erinnerung an Pfingsten.

O wie schön, wenn der vergnügliche
Lenz in eine Gegend rückt,

Und die Flur, die diesbezügliche,

Sich mit echten Blumen schmückt!
Nachtigall, die liederhalsige,

Singt in Thälern und aus Höhn,

Und das Bier, das allenfallsige,
Schmeckt im Freien wunderschön.
Munter stießt der Bach durch rasige
Wiesen und durch Waldrevier,

Und das Dörslein ist, das dasigc,

Lieber als die Hauptstadt mir.

Lustig läuft der Hund, der kläffende,
Hinter fetten Schöpsen her,

Und der Schafhirt, der betreffende,
Grüßt mich und gefällt mir sehr.

Selbst die heillos Deutschfreisinnigen
Freu'» sich an dem regen Blühn,

Denn der Wirkung des Schlecht innigen
Kann man sich nur schwer entziehn.

Trost i u TIrräne n.

Nach der von Professor v. Jura sch e k bearbeiteten H übn cr'jchen
statistischen Tafel betragen die Schulden aller Staaten der Erde in Summa
circa 1*28,000 Millionen Mark.

Bon allen deutschen Universitäten sind an Herrn v. Juraschek Tele-
gramme eingegangen, in denen Studirende in höheren Semestern ihren herz-
lichen Dank für diese tröstliche Mittheilung aussprechen.

Ä11 s ü ti g C a n if.

Die Verwaltungsbehörden sind gesonnen, dem Ueberniuth, mit dem sich
die Ausländer bisher in Rußland benommen haben, energisch entgegcn-
zutreten. Der Ukas, welcher de» Fremden die Erwerbung von Grundbesitz
verbietet, ist nur ein Vorläufer, dem ernstere und wirksamere Maßregeln
folgen werde». Vorläufig schlägt Herr Katkow als erster Sachverständiger
solgcndc Bestimmungen vor:

In allen 'russischen Städten, in denen es überhaupt ein Trottoir giebt,
darf dasselbe nur von den Eingeborenen benutzt tverden, die Fremden haben
sich aus dem Straßendamm zn bewegen.

Trifft ein Russe einen Ausländer bei einem gefüllten Schnapsglase, so
hat er das Recht, de» Schnaps auszutrinken. Der Fremde hat dazu in
guten, Russisch „Prosit!" zn sagen; vermag er dies nicht, so hat er ei»
Strafgeld von 10 Rubeln an den Anstrinker zu zahle».

Da es auch Ausländer mit unschönen Gesichtszügen und struppige»
Bärten giebt, die man in Folge dessen für Russen halten könnte, so habe» alle
Fremden eine* osficielle Tracht anzulegen. Als Farbe wird ein helles
Canarien-Gelb gewählt, Stvsf und Schnitt der Getvandung tverden noch
näher bestimmt tverden.

Alle Franzosen brauchen sich vorläufig um diese Bestimmungen nicht zu
kümmern; sie tverden in jeder Hinsicht den Inländern gleichgestellt.

ilcifcCiterniur.

Die Jägerstraße in Berlin. Bierreisehandbuch für Einheiinische und
Fremde. Mit einem Plan, 27 Speisekarten und vielen Abbildungen.

Ein sehr praktisches Hilfsbüchlein für alle, welche eine Rundreise durch
die Erfrischnngslocale der Jägerstraße zu machen beabsichtigen. Der Herr
Verfasser gibt sich als ein Mann von großer Localkenntniß und gründliche»
Erfahrungen zu erkennen. Die Dauer der Reise berechnet er aus zwei Tage
und drei Nächte. Die Ausstattung des Büchleins läßt nichts zu wünschen übrig.
 
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