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Zrn Jukunftsstaat
& dieser Zeit werden die Führer der Socialdcmolraten wieder einmal
W von allen Seiten damit geärgert, daß man behauptet, ihr viel
gerühmter Zukunftsstaat sei ein verschwommenes Nebelgebilde, keiner
von ihnen könne sagen, wie es darin aussehen wird. Nun schweigen
sie allerdings darüber, aber kann das nicht eine» andern Grund haben?
Sie wollen uns vielleicht überraschen, oder sie meinen wohl, geredet
werde auch sonst schon genug, und die Welt könne ihre Ungeduld be-
zähmen, bis nach dem Zusammenbruch des alten Staats mit den: Auf-
bau des neuen begonnen wird. Mag ober auch manches von den
Institutionen des neuen Gemeinwesens noch nicht bis in alle Einzelheiten
ausgearbeitet sein, völlig klar ist man sich schon jetzt darüber, in welcher
Weise manche Personen, die jetzt im öffentlichen Leben eine Nolle
spielen, im Zukunftsstaat beschäftigt werden sollen. Ein revisionistisch
angehauchter Genosse, mit dem wir verkehren, hat uns darüber jüngst
beim Wein allerlei vertraulich erzählt, und wir wollen einiges davon
inittheilen. Das ist ja etwas indiscret, aber wer verlangt heutzutage
noch Discretion von der Presse?
Zuerst fragt wohl alle Welt, was im Eenossenstaate aus unserm
Reichskanzler wird. Genosse Bernhard Vülow — Adelige oder gar
Grasen gibt es natürlich nicht mehr — soll sich ganz der Festrednerei
widmen, für die er ja glänzend begabt ist. Am 1. Mai, an den Gcburts-
tagen von Marx, Engels, Lassalls u. s. w., sowie bei sonstigen Volks-
feslen hat er begeisterte Ansprachen zu halten, die mit einem Hoch auf
die internationale revolutionäre Socialdemokratie ende». Man er-
wartet von seiner Geschmeidigkeit, daß er sich bald in den allerdings
ganz neuen Curs finden und seine-Thätigkeit mit voller Hingebung
ausüben wird. Die Genossinnen freuen sich sehr auf ihn, denn sie
lieben Singer, Stadthagen und Zubcil als Festredner gar nicht.
Der Antipode Bülows, Genosse Eugen Richter, wird auch
ferner literarisch thätig sein. Er soll in Büchern und Broschüren die
zum Zweck der internationalen Propaganda in alle Cultursprachen
übersetzt werden, die Unmöglichkeit des alten Polizeistaats und die
Bollkommenheit des socialistischcn Gemeinwesens Nachweisen. In seinen
Mußestunden überwacht er als vortrefflicher Rechner das Finanzwesen.
Da man ihm nicht recht traut, erhält er Tag für Tag sein Essen erst,
wenn er sein Pensum ausgearbeitet und sauber ins Reine geschrieben hat.
Literarisch wird auch Karl Sattler beschäftigt werden, der ja als
tüchtiger Historiker bekannt ist. Er soll eine zwölfbändige Geschichte
der Socialdemokratie von ihren ersten'Anfängen an schreiben. Man
hält ihn aber nicht für ganz unparteiisch, deshalb soll sich seine Thätigkeit
darauf beschränken, daß er das niederschreibt, was Mehring ihm
diktiert. Zur Erholung darf er in den Kinderheimen Säuglinge mit
Brei füttern, weil er bei der Ueberwachung der nationalliberalen
Jugendvereine ein beachtenswerthes pädagogisches Talent gezeigt hat.
Genosse' Limburg-Stirunl wird bei der Gesundheits-Polizei
angestellt, die auch im Zukunftsstaat nicht zu entbehren ist. Er hat
speciell die Haus- und Arbeitshunde auf ihren Gesundheitsstand zu
überwachen und kann hierbei seiner Neigung zum Anlegen von Maul-
körben und zum Einsperren folgen.
Genosse Georg Oertel soll sich als Landbriefträger nützlich machen.
So behält er Fühlung mit den geliebten Feldern und hat Gelegenheit,
sich allmählich schlank zu laufe», bis er in seine neue Weste hineinpaßt.
Diese ist natürlich nicht weiß von Farbe, sondern wie alle Westen im
neuen Staat grau und braun carriert. Sie hat selbstverständlich auch
nur das allein vorkommende Durchschnittsformat, sodaß Oertel sie in
der ersten Zeit wird offen tragen müssen. Oertel darf weiterdichten.
Er liefert Gedichte für die Festversammlungen und fertigt für jeden
1. Mai — das Weihnachtsfest ist natürlich abgeschafft — ein socialistisches
Kinderbuch an.
Diederich Hahn bleibt der Landwirthschaft erhalten. Im Früh-
jahr und im Herbst fährt er Mist, sonst hat er Häcksel zu schneiden.
Ist einmal kein Häcksel nöthig, so wird er, weil ihm rastlose Thätigkeit
Ledürfniß ist, mit dem Dreschen von leerem Stroh beschäftigt.
Man muß zugeben, daß die Arbeiten gerecht oertheilt und den
Gaben und Liebhabereien der einzelnen geschickt angepaßt sind. Wir
könnten noch über Dutzende von anderen Politikern berichten, aber der
Raum fehlt uns. Wenn die Sachs noch vertraulich behandelt wird, so
erklärt sich das wohl aus der Befürchtung, daß manche Herren, denen
die ihnen überwiesene Beschäftigung nicht zusagt, sich der drohenden
Einstellung in den Zukunstsstaat durch schleunige Auswanderung ent-
ziehen könnten.
Aufruf
Vorgetragen vom bayerischen Abgeordneten Stadtpfarrer Kohl
Frisch auf, mein Volk! Die Scheiterhaufen rauchen,
Hell an der Isar strahlt der Freiheit Licht.
Moderne Dichtung können wir nicht brauchen;
Frisch auf, mein Bolk! Die Scheiterhaufen rauchen,
Her mit den Büchern, Bayern, zaudert nicht!
Vernichtet alle Formen, alle Platten,
Sofern ihr nur die meine dabei schont,
Und was versäumt die Staatsanwälte hatten,
Ballende, Volk, das unterm Krummstab wohnt.
Zerbrich die Pflugschar auf den Zeitungsschreibern,
Sobald sie schreiben, was nicht approbiert!
Du sollst dein Haus von ihren Schriften säubern
Und wirst dabei von deines Haushalts Schreibern
In unserm Auftrag täglich controlliert.
Du darfst auch nicht bei einem Kaufmann kaufen,
Der.eine liberale Zeitung hält:
Die Losung sei, sobald du mal willst — trinken,
Katholisch Bier für gut katholisch Geld.
' . Ter Himmel hilft, wir helfen den Gerichten;
Drauf, wackre Richter, consiscicrt drauf los!
Fort mit den Bildern, fort mit den Gedichten,
Die Paragraphen kümmern uns mit Nichten,
Denn eitler Menschenwitz erfand sie blos.
Dann werden dir der Freiheit Freuden winken,
Und als lebendiges Cultursymbol
Soll neben einer vollen Maß dir blinken,
Solide Weißwurst eingerahmt von Kohl.
Der „Vorwärts" meint, dem Reichskanzler sei in der Rede Bebels
„ein unendliches Gefühl der Ueberlegenheit" entgegengetreten.
Wer soll damit kritisiert werden, der Reichskanzler oder Bebel?
Im Jahre 1304 soll ein seltenes patriotisches Fest gefeiert werden;
in diesem Jahre wird nämlich die 25. Denkmünze seit Beginn des
neuen Jahrhunderts gestiftet werden. Zur Erinnerung an diesen
wichtigen Tag in der Geschichte unseres Vaterlandes wird allen Theil-
nehmern eine neue Denkuiünze, die Dcnkmünzenjubiläumsd cnkmünze,
verliehe» werden.
Das jetzt zu Ende geht, das Jahr.
War reich an Unwetter und an Nebel,
Bracht' zu viel Babel und zu viel Bebel.
Schnurrige Heil'ge ließ es sehn,
Die nicht mal im Kalender stehn.
Am Ende aber komnien zwei,
Die, wie mit Freude gemeldet sei,
Von guter Art sind, von ehrenfester,
Sie heißen Niklas und Silvester.
Die bringen, wie man rühmen muß,
Das böse Jahr noch zu gutem Schluß.