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III. DIE SCHLESISCH-BÖHMISCHE EPOCHE

A. VORAUSSETZUNGEN IN DER BÖHMISCHEN KUNST78
Obwohl der größte Teil Schlesiens schon 1327/29 an Johann von Böhmen abgetreten wird.,
lassen die erhaltenen Bestände schlesischer Buchmalerei in der ersten Hälfte des 14. Jahr-
hunderts eine Einwirkung böhmischer Kunst kaum spüren. Zwar hat der Entwicklungsgang
hüben und drüben von Anfang an etwas Verwandtes. Auch in Böhmen entspringt der kalli-
graphische Linienstil aus englisch-französischen Anregungen, auch dort spielt die Filigran-
ornamentik eine Rolle wie sonst nur noch in Schlesien. Während sich aber die schlesische
Buchmalerei dieser Zeit bald bis in charakteristische Einzelmotive ihren eignen Ausdruck
schafft, bleibt ein Teil der böhmischen, etwa die Elisabethhandschriften (1315-1323) oder
das Kanonbild im Missale des Johann von Drazic (um 1330), so eng im Geiste der Vor-
bilder befangen, daß eine Unterscheidung auf den ersten Blick schwer fällt. Wo dann das
böhmische Urempfinden durch die fremde Stilhülle bricht, wie im Passionale der Äbtissin
Kunigunde (um 1320) oder der Velislavbibel (um 1340), da kommt es zu einem Ausdruck
schwerblütiger Leidenschaftlichkeit, der sich erst recht gegen das milde, verhülltere Wesen
der schlesischen Kunst absetzt. Dann aber hat sich der böhmischen Malerei seit frühester
Zeit ein Element beigemischt, das die schlesische gar nicht kennt oder anerkennt: das Italie-
nische. Tritt es schon in romanischen Handschriften als Einfluß des „Gaibanastils“ auf, so
kehrt es, durch Österreich vermittelt, im Passionale und in der Velislavbibel wieder und
hängt sich in Einzelformen selbst an die Ornamentik der Elisabethhandschriften an. Es ent-
steht also ein französisch-italienischer Mischstil, und wie wir uns seine Zusammensetzung
im einzelnen vorzustellen haben, sei an einem bisher unbekannten Beispiel kurz erläutert:
dem prächtigen Archipontifikale IF 380 der Breslauer Universitätsbibliothek (um 1350), dessen
böhmische Herkunft kaum bezweifelbar ist79. Deckfarbene Bildinitialen mit reich figurierten
Schmuckleisten verkörpern das westliche Schmucksystem, das an den Psalter des Richard
von Canterbury80 und seine französischen Vorbilder erinnert. Figuren und Drölerien sind
zwar noch ganz im französischen Feinstil gehalten, aber z. T. mit einem grotesk-leiden-
78 Um diesen nur orientierenden Abschnitt über die böhmische Kirnst von Fußnoten zu entlasten, sei für die Mehrzahl
der behandelten böhmischen Arbeiten als Abbildungsquelle und Literaturnachweis genannt: A. Stange, Deutsche Malerei der
Gotik I (1934), S. 165—184, II (1936), S. 1—19.
79 Vgl. W. Göber in Chrousts Mon. Pal., 1935, III. Reihe, XIV. Lfg., T. 4.
so Sammlung Dyson Perrins, Malvern, Nr. 14, f. 6; Millar a. a. O. pl. 39.

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