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Zentral-Dombauverein <Köln> [Hrsg.]
Kölner Domblatt: amtliche Mittheilungen des Central-Dombau-Vereins — 1848 (Nr. 37-46)

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https://doi.org/10.11588/diglit.1499#0020
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Wrssen wir «un aber auch, daß diese hier uäher befchnebenen Bauhut»
teu »on den römischen Bau-Corporationcn abstammen, so bleibt unS noch
die Untersuchung nbrig, wvher dieses tiefe Wissen, dieser Kuuststnu zu
den für alles Aesthetische so unempfänglichen, nur für Krieg und Ero.
berungeu, später für den LuruS lebenden Römern kam. — Auch hier
gibt uuS die Geschichte die gewüuschte AuSkunst, und wo der klare Buch«
Habe uns verläßt, führen sehr nahe liegende Consecturen leicht über die
Lacunen hinübcr.

Dic Römer ließeu in dcr Zeit der Könige und der Republik biS auf
Sulla ihre Tempel durch etruSkische, wie Salomo den seinen durch phö-
nicische Künstler auSführen. So wurde z. B. der Tempel deS Jupiter
CapitolinuS, der salomonische Tempel des römischen VolkcS, zu welchem
Tarquinius Priscus den Grund legte, deffen Bau sein Enkel fortsetzte,
ohne deffen Vollendung zu erleben, — von Etruskern gebaut. Stammeu
nun die Etrusker nach Herodot i. 94. und TacituS' Annalen 4, 55. au«
Klein-Asten, stnd weuigstcnS die Lucumonen drrselben, die Priester- und
Kriegerkaste, lydischen UrsprungeS, so ist auch asiatische, wie später grie-
chische Cultur überhaupt, und mit ihr dic Baukunst und ihr Gefolge, iu
Jtalieu eingewandert. Nun ist aber bekannt, daß in der frühesten Zeit i»
ganz Asten — dem allgemeinen Mutterlande deS Wiffens und Können«

— die einzelnen Wiffenschaften und Künste cin Besitzthum der Priester.
Vercine waren, sich aber im Laufe der Zeiten immer mehr gliederten und
ablös'tcn, biS sie sich endlich völlig emancipirten.

Während einzelne Abtheilungen dieser Priester-Collegien mit der Li-
turgie und dem Opferdienste im engeren Smne, andere mit der Dentung
der Zukunft sich beschäftigten, widmcten sich andere der Heilkunde, uud
uvch andere dem Bauwesen, wie z. B. die Metall schmelzenden und Sta.
tuen hauenden idäischeu Daktylen auf Kreta und in Klein-Asien, die vcr.
wandten Telchinen auf RhoduS, die Kabiren in Phrygien, die Cyklvpe»
in Thracicn, und ähnliche Gescllschaften, dic vsm Schmclzen, Bildcn und
Baueu ihreu Ramen hat en, was Lamals cincrlei war, wie Leun im Cog-
lischen t» duiia heute noch „bauen" heißt. Alle diese Söhuö dcs Phtha
und HephästoS erscheiven nach den bestimmten Zeugniffen deS AlterthumS,
nach Diodorus Sic., Strabo, PausaniaS, nicht bloß alS kunstreiche Tech-
niker Oozürk^o,), alS geschickte Werkmcister und Werkleute bei archi-
tektonischen und plastischen Arbeiten, sondern auch alS neidische Bewahrer
ihrer technischen und artistischcn Kenntniffe, wie alle geschloffenen Ver-
eive, und alS Zauberer und Kunstdämonen, weil sie mit höheren Natur.
kenntniffen vcrtraut waren. JmGrunde sind sie die edelsten Vereine vor der
Stiftung deS ChristenthumeS, die ältesten Wohlthäter des menschliche»
Geschlechtes, die Gründer der Cultur; denn sie erfanden und lehrten die
wichtigsten Künste und Wiffenschaften und machten die Menschen erst zu
Menschen.

Wir werden nu» wohl nicht irrcn, wenn wir annehmen, daß solche
Priester-Colonieen nach Jtalien daS Bauwesen mitbrachten, daß sich aber
dort allmählich die Bau-Corpvrativnen von der Priesterschaft trennteu
und alS weltliche Vereine selbstständig constituirten, wie dies die Aerzte,
die Meßkünstler und die Jünger aller Wissenschaften nach und nach thaten.

Nach der Zerstörung Korinths (146) wurde Rom der Sammelplatz
griechischerKünstler. Man bautc Tempel, Theater, Basiliken und Triumph-
bogcu. Augustus und die folgenden Kaiser wetteiferten förmlich in Be-
förderung der Baukunst; reiche Private wvllten ihnen nicht nachstehen
und ließen Wohnhänser und Villen mit der größten Pracht ausstatten,
wie wir es zum Theil noch aus ihren Trümmern erkennen.

Daß sich die aus früherer Zeit noch vorhandenen Corporationen, die
alten 6o»o!;i!, kndi-neum, an die griechischen Meister anschlossen, odcr
dicse an jene, ist wahrscheinlich und eben so natürlich, als daß später die
heidnisch-römischen Baugesellschaften iu Britannien und Deutschland zu
christlichen wurden. Daher sehen wir eben in der ersten Kaiserzeit dicse
Corporationen gleichsam neu auflebcn und cine ungleich hvhere Bedeut-
samkeit, als srüher, erlangen.

DaS Christenthum erschien unterdeß und gab der ganzen Menschhcit
cine ncue, der brsherigen ganz entgegcngesetzte Richtung. Statt deS
Strebens nach außen, — setzt Einkehr nach innen; statt matericller Jn-
tereffen, — idealeS Leben im Geiste; statt der Erde und ihrer Frcuden,

— Sehnsucht nach den höheren Gütern des Himmels. ES konnte nicht
sehlen, daß die ernsten, Höher gebildeten und mit den Geheimniffen der
Natur vertrauten Mitglieder der Bau-Corporationen sich bald an daö
sunge Christenthum anschloffen, und daß das Christenthum auch seiner-
seitö ihrer Kunst eine ganz neue, höhere Richtung gab, sie vergeistigte
und mit der ganzen Weihe der Religion dnrchdrang.

Wie immer, so wurde auch setzt wieder die Baukunst die Trägerin der
Kunst überhaupt, da sie alle übrigen in ihre Dienste nimmt. Dcnn die
Baukunst ist der eine Endpol der gesammten Künste, wie die Mimik der
andere ist. Mit sener beginnen, mit dieser enden sie. Die Architcktur ist
gleichsam eine versteinerte Mimik, in welcher alle Jdeen, Empfindungen
und Bestrebungen dcs Menschengeistes, und mit Hülfe der Schwester-
künste alle Lagen deS Lebens firirt sind, während sie in der Mimik in
Bewegung begriffen erscheincn.

, Nun konnte aber weder der hcitere, nur für die Erde berechnete, mehr
zierliche als erhabene Baustyl der Griechen, noch der aus ihm hervor-
6?bende ernstere, aber immer vur weltliche, irdische Kraft verkündcnde
romriche, dem Christenthume, wie es sich besonders im 5. Jahrhundert
gestaltet hatte, entsprechen. DaS Chriflenthum sorderte ein andereS Kunst-
»ssdcn, dcm fich, statt dcS S'nnlichschönen dcr Griechen, statt der phy-
sischen Kraft der Römer, daS Sittlichschöne. vie geistige Macht deS Men-
schen, als Ziel darstellw; eine ungleich erhabnere, aber auch schwierigere
Aufgabe. Wie alleS Große und Gute, gmg auch dieser Fortschritt der
Kunst langsam und allmahlich von Statten. Erst vom 10. Jahrbundert
ab laffen die Bauwerke der Dcutschen «nd der Nvruiannen in Frankreich

ein Streben nach christlicher Eigenthumkichkeit erkenne». AnfangS wenbete
man die allgemer'» verbreitete byzantinisch-römische Bauweise an; bald
aber vertauschte man die Säule mit dem Pfeiler, aus welchem der Bo-
gen mehr zu entspringeu scheint, als daß er sich auf ihn stützte. Jm 12.
Jahrhunderte endlich entstand der neue, der christliche Baustyl in Deutsch-
land, wo das Cristenthum vo» jeher am tiefsten empfunden und am rein-
stcn aufgefaßt wurde. Er drückt die im Christenthume gegebene Jdee deS
Unendlichen, durch ein mächtiges harmonische« Emporstreben und durch
Vorherrschen der Form vor dcr Maffe, deS Geistigen vor dem Sinnli-
chen, so kräftig, wahr und schön aus, wie keine andere Erscheinung im
Gebiete der Kunst.

Möge nun der deutsche steile Spitzboqen und das daraus gebildete Bogen-
geflecht unserer christlichen Dome ein Nachbild eines heiligen Tannen- oder
Eichenhaims sein oder nicht, gewiß ist es, daß keine Form gefunden wird,
die den Geist deS Christenthumes, das Erhabene, Himmelanstrebende treffli-
cher bezeichnete, als diese, und wenn es auch, um sie zu eifinden, für den
wahrhaft christlichen Künstler keines Tannenwaldes zum Vorbilde bedurfte,
so mag ihm dennoch diese Natur-Form im Geiste vorgeschwebt habm. Die
Form ist stets nuc die Hülle der Jdee, und aus dem Jnnecn des GeisteS
selbst stammt, wie die Jdee, so auch die ihc entsprechende Form. Aber da«
Aeußere, ihn Umgebende, regt den Geist an und veranlaßt ihn zum weiteren
Forschen. Die frühesten Wohnungen eines Volkes, Höhle, Hütte, Zelt und
Lrube, bestimmten allerdings die Ucformcn zu jeder Bauart; dahsr unterschei-
del man eine Höhlen-, Hülten-, Zelt- und Lauben-Baukunst, und weiset die
erste bei den Jndern, die zweite bei den Griechen, die drilte bei den Arabern
und die vierte bei den Germanen nach. Die Urform wurde ferner, als sich
das Bauen zur Kunst erhob, die Grundform der verschiedemn Bauarten; so
behielt die Höhlen-Bauart die Pyramide, die Hütten-Bauart das Vrereck,
die Zelt-Bauart den Ci'rkel, die Lauben-Bauart die Ellipse bei. Läßt sich aber
bie Richtigkeit d>'sser Ansist nicht verksnnen, so muß man doch auch einräu-
iii.,i, daß ver o-nkeass G.ist dei ben Vorbildern der Natur nicht st-h.n bli.b.
Denn wcher nahm der Araber seinen luftigen Bogen, der Griechc sein Tem-
peldach?

Es ist gewiß, daß wir immer und überall nur der Natur folgen könncn,
aber es scheint kleinlich, in jsdem bcsonderen Falle das Muster nachweisen
zu wollen, nach welchem der nachabmende und doch zugleich schöpferische Ge-
niuS seine Wundergebilde zugcschnikten haben soll. Ohne die Wirklichkeit ge-
ring zu achten, copirt doch die Kunst die Natur nicht; sie ist kein Nachdruck
von ihr; vielmehr wird, wie Zean Paul, Vorschule >. 26, sich ausdrückt,
„mit jedem Genie eine neue Natur erschaffen, indem es die alte weiter ent-
hüllt", ihre zerstreuten Schönheiten gleichsam in eimm Brennpuncte sam-
melt, das von ihr Gegebene idealisict oder auch nur, ohne bestimmte Bilder
vor Augen zu haben, in ihrem Geiste und nach ihren Gesetzen, aber mit vol-
ler Freiheit, eigene Gebilde schöpferisch hervorbringt. Dieses Letztere ist das
eigentliche Wirken des Genie's, und dadurch insonderheit unterscheidet es sich
wcsenrlich von dem Talente, das immec einen Gegenstand der Wirklichkeit
zum Vorbilde haben muß, den es aber idealistrt und mit einer höheren Glo-
ri« umgi'bt; eine Ark dec Kunstschöpfung, die dem Genie nicht fcemd, ihm
aber nicht nothwendig, nicht die einzige füc seinen Thätigkeitskreis ist*).

Auf dicfe Weise scheint mir das Räkhsel gelös't, wie die deutfchen Bau-
hütt.n, wie überhaupt die chcistlichen Meister, da sie mit der Kunstbildung
des classr'schen Altcrthumes den höheren Geist des Christenthumes vereinten,
solche Werke schaffen konnten, die in dec ganzen alten Welt ohne Vorbild
dastehen und vielleicht für alle Zeiten unnachahmbar sein werden; so wird es
begreiflich, daß wic hicr nicht bloße Formen, zu einem bestimmten Zwecke die-
nend, z. B. ein Versammlungshaus zum Gebete zu sein, auch nicht bloß
schöne Formen, wie die griechischen Tempel, sondem veckörperte Jdeen vor
uns sehrn, Gebäude, die als Ganzes, wie in ihren einzslnen Theilen, symbo-
lisch sind und vernehmlicher zu uns sprechen, als Wort und Rede es ver-
mögen. Dsnn glrich'am eine religiöse Epik, verkörperte die deutsche Kirchen-
Baakunst dis Uibilder dss christl'.chen Glaub.ns in dem Auge sichlbarer
Maffen, und in diesem Sinne führte sie ihre Dome auf, die mlt dec größ-
ten Einfachheit in den Hauptverhäitm'ssen 'dis reichste Fülle in den Bei- und
Nebenwerken verbinden, enlsprechend den einfachen Grundlehren der Religion
und den unwesentlicheren, daher der mannigfachsten Ausschmückung fähigen
Secundar-Artikeln. Ja, diese Bauwerke des Mittelalters, zur Ehre Gottes
mit heiligem Eifer gestiftet und ausgeführt, diese Wunderwerke der christli-
chen Welt, st'nd versteinerte Apokalypsen, reich an tiefsinnigen Symbolen, de-
ren Deukung wir abec erst später versuchen können ; -— fle allrin schon recht-
fertigen das Motto, das wir an die Spitze dieser Abhandlung stellten, Schle-
gel's Wort: „War das Mittclalter eine Nacht, so wac es eine sternenhelle
Nacht." Jn der Nacht schafft die Natur, in der physischen Welt, wie in
der geistigen, in der Nacht arbeitet ste in ihrer gshei'men Werkstätte und bil-
det aus, was mit anbrechendem Tage erscheincn soll. Von diesem Gestchts-
puncte aus müssen wir alle Erscheinungm des Mittelalters, die wie Blitze
in die Nacht der Geschichte hineinleuchten, betrachten.

*) Die Meinungen über den Ursprung des Spitzbogens laffen sich auf zwei Clas-
sen zurücksühren. Einige brhauptcn, diese Bogenform sei von den Arabern zu-
erst angewcndet und von ihnen entlehnt worden, — Andere halten sie sür eine
einhcimische, bewußte oder zufällige Erfindung. Die Anhänger diescr verschie-
denen Ansichten sondem sich wieder in zwei Thei'le, mdem Einige diese ara-
bische Form von Aegypten nach Sicilien übergehen lassen, während Andere an-
nchmen, unser Abendland habe erst zur Ieit der Kreuzzüge im Ori'ent diesen
Bogen kennen gelernt. Diejenizcn endlich, welche der einheimischen Entstehung
huldigen, leiten den Spitzbogen theils aus der romantischen Stimmung, thells
aus technischen Rücksichten ab.

Verantwortlicher Herausgeber: Jos. DuMont.

Druck und Commissions-Verlag des Verlegers der Kölnischen Zeitung,

M. DuMont-Schauberg.
 
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