Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Koepplin, Dieter
Cranachs Ehebildnis des Johannes Cuspinian von 1502: seine christlich-humanistische Bedeutung — 1973

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9938#0021
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
17

illustrative Möglichkeiten von den Humanisten hochgeschätzt worden
sind. Wie in den Holzschnitten, so tritt Cranach in seinen ikono-
graphischen Formulierungen mit Dürer in Wettstreit. Wenn wir mit
Ikonographie nicht bloss den Gegenstand, sondern"den geistigen
Typus ..., den ein Meister ... aus dem Material, das ihm überlie-
fert ist, mit Hilfe seiner Kunst hervorbringt" (15), verstehen,
so weisen die meisten Wiener Werke Cranachs eine neue und kühne
Ikonographie auf, und zwar gerade dort am überraschendsten, wo
althergebrachte Themen dargestellt sind: die Kreuzigung, die Oel-
bergszene, die heilige Familie (wir meinen das Bild, das missver-
ständlich den Titel "Ruhe auf der Flucht" zu führen pflegt), der
Büsser Hieronymus, das Martyrium der hl. Katharina oder das
Liebespaar in der Landschaft (16). Die ikonographische Neuprägung
all dieser Bilder versteht man historisch am besten, wenn man ent-
sprechende Gemälde und graphische Blätter von Dürer daneben hält
und sich klar macht, wie Cranach mit dem gleichaltrigen Dürer wett-
eifert. Der dürerische, sehr moderne Ehrgeiz, etwas "zu machen,
das man vor nit gesehen noch ein Ander gedacht hätt" (17), muss
auch Cranach angefeuert haben. Cranachs Pathos scheint geschürt
(wir sagen nicht: verursacht) zu sein von dem Willen, den berühm-
ten Dürer zu übertreffen, den die Humanisten einstimmig "artis
principem" heissen (so, und zwar mit speziellem Bezug auf die
Holzschneidekunst, hat ihn auch Cuspinian in späten Jahren ge-

(15) F. Rintelen, Giotto und die Giotto-Apokryphen, 1911, 2. Aufl.
1923, 233 Anm. 13. Solche Ikonographie sei "wahrscheinlich
das Höchste, wozu die Kunstgeschichte gelangen kann".

(16) Ueber eine bisher unbeachtete, Cranach zuzuschreibende
Zeichnung eines Liebespaares in der Landschaft, 15o3 da-
tiert, im Museum Braunschweig befindlich, wird der Verfas-
ser im Katalog der Basler Cranach-Ausstellung 1974 berich-
ten.

(17) Dürer, Vier Bücher von menschlicher Proportion, 1528,
Ende des 3. Buches. E. Panofsky, Hercules am Scheidewege,
193o, 167.
 
Annotationen