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Koepplin, Dieter
Cranachs Ehebildnis des Johannes Cuspinian von 1502: seine christlich-humanistische Bedeutung — 1973

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https://doi.org/10.11588/diglit.9938#0084
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78

Wenn Cranach seine Hintergrundkulissen hoch hinaufführt, so
tut er dies nicht um den Preis der einheitlichen, für den
ganzen Bildraum geltenden Augenlinie, die etwa in der Mitte
der Bildhöhe verläuft. Die altertümliche, noch 15o6 von Frueauf
in der Klosterneuburger Bildern mit höchster Feinheit vertre-
tene Art des additiven Aufstockens von Geländekompartimenten,
die dem Betrachter mehrfache Veränderung des Blickpunktes
nach der Höhe hin zumutet, kommt für den dürerisch modernen
Cranach nicht mehr in Frage. Die Forderung jeder klassischen
Kunst nach dem organischen Zusammenschluss aller Bildteile er-
füllt Cranach weitgehend durch die Gestaltung eines einheitlich
gesehenen Bildraumes, in dem sich Figuren und Gegenstände glaub-
würdig einordnen. Die Einheit des Raumes verbindet sich aber
mit einem anderen, für Chranach charakteristischeren Einheits-
prinzip: Es ist das flächengebundene Prinzip des Herauswachsens
aus dem Grunde, des Aufleuchtens und Hervorblühens der Farben;
es ist auch das Prinzip des pflanzlichen Lebens (195), das alle
Teile der Landschaft durchpulst und zu einer Einheit werden
lässt und sich sogar auf den Kleidern der Porträtierten aus-
breitet, freilich ohne die körperliche Autonomie der Menschen-
figuren aufzulösen (was dann die Tendenz der Donaumeister sein
wird) .

(195) Im Vegetabilen fühlte sich Cranach zu Hause. So hat man
es mit Recht als bezeichnend empfunden, dass er in sei-
nem um 15o8 geschaffenen Holzschnitt mit dem Opfertod
des Marcus Curtius (Jahn 1955, 25 u. Taf. 24) für die
Figurenkomposition ein italienisches Vorbild benutzt, das
Ganze aber nach eigenem Gutdünken mit einer Hintergrunds-
landschaft verlebendigt hat, obwohl sich die Szene eigent-
lich in der Stadt abspielen sollte. In seinen Zeichnungen
zum Gebetbuch des Kaisers Maximilian hat Cranach auf alle
geometrischen Motive verzichtet (im Gegensatz zu Dürer,
dem Meister der Messkunst) und nur Natürliches - Land-
schaftliches, Pflanzen und Tiere - gegeben; im Vergleich mit
Burgkmairs Landschaften im Gebetbuch sind diejenigen Cra-
nachs in charakteristischer Weise unräumlich und flächen-
bezogen (Abb.: Rosenberg i960, Nr. 21-28). "Merkwürdig
unentwickelt war Cranachs Sinn für die geometrische Form"
(Friedländer/Rosenberg 1932, 24).
 
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