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Die >Graue Passion< 119

Texte des Alten Testaments erklärte, sollen hier nicht
weiterverfolgt werden.49 Als ein im letzten Drittel des
15. Jahrhunderts ausgebildeter Maler kannte und ver-
wendete Holbein viele dieser Motive, erwies sich aber
auf diesem Feld als wenig erfinderisch. Texte mögen
in diesem Stadium der Untersuchung, wie es zuletzt
Dietmar Lüdke für die >Karlsruher Passion< vorge-
führt hat,50 auf einem schlichteren Niveau einige von
Holbein stereotyp verwendete Motive aufschlüsseln
helfen.

Im nächsten Schritt sollen das Frankfurter und das
Kaisheimer Retabel, die einzigen für die der Standort
verbürgt ist, in ihrer Gesamtheit untersucht werden.
Beachtet werden die Differenzierung der Ansichtssei-
ten, die Verteilung der Bilder und die künstlerischen
Strategien zur hierarchischen Ordnung auf die Feier-
tagsseite hin: Wie sich das Bedürfnis des Künstlers
nach Sichtbarkeit seines Werks an dieser liturgisch

begründeten Hierarchie stört, wird für beide Retabel
zu untersuchen sein. Die überraschend ähnlichen Bild-
programme bei den Dominikanern in Frankfurt, den
Zisterziensern in Kaisheim und, soweit zu rekonstruie-
ren, auch in der Augsburger Pfarrei St. Moritz werfen
die Frage nach der spezifischen Aussage dieser Pro-
gramme und generell der Aussagefähigkeit sowie den
Erwartungen an Aussage auf.51 Mit der Frage, in wel-
cher Hinsicht detaillierte ikonographische Untersu-
chungen für die Altäre an der Wende zum 16. Jahr-
hundert sinnvoll sind, verbindet sich, angesichts deren
Einheitlichkeit, die Frage nach den Anteilen von Maler
und Auftraggeber an den Programmen. Zur Klärung
dieser Frage werden die Materialien, über die wir aus
dem Entstehungsprozeß der Bilder verfügen, herange-
zogen: Vertragstexte, - da diese für Holbein nicht
überliefert sind, von Zeitgenossen, - und Zeichnun-
gen, von Einzelstudien bis hin zu den >Visierungen<.

Die >Graue Passion<

Es handelt sich um die gespaltenen Tafeln eines Reta-
bels, das auf den Außenseiten der Flügel in sechs Bil-
dern die Passion Christi vom Gebet am Ölberg bis zur
Ostentatio Christi zeigt (Abb. 83).51 Die Bilder waren
über die Grenzen der Flügel hinweg in drei Zeilen
angeordnet. Auf den Innenseiten setzte sich die
Geschichte fort: Auf dem linken Flügel waren die
>Handwaschung des Pilatus<, die >Kreuztragung< und
>Christus in der Rast« zu sehen, auf dem rechten, wie-
der oben beginnend, >Kreuzabnahme<, >Grablegung<
und >Auferstehung< (Abb. 84). Der Corpus des Reta-
bels dürfte die Darstellung der Kreuzigung in
geschnitzten Figuren enthalten haben. Aus dem For-
mat der Tafeln (jeweils ca. 90 x ca. 88 cm) ergibt sich
ein knapp 3 m hohes, in geöffnetem Zustand ca. 3,90m
breites Retabel. Außen- und Innenseiten sind in der
Farbigkeit unterschieden. Außen sind die Gewänder
der Figuren einheitlich in einem kalten Grau vor
einem kalten Dunkelblau gehalten, innen in einem
Ockerton vor Dunkelgrün. Die Inkarnate, die Böden
und das Mobiliar sind in einer naturalistischen Farbig-
keit ausgeführt, die ursprünglich vergoldeten Strahlen-
nimben sind zumeist ausgekratzt. Das Ausmaß der
Schäden an den Tafeln, insbesondere das Ausmaß der
Übermalungen, ist derzeit nicht festzustellen.

Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts aus dem
Münchener Kunsthandel für die Fürstenbergischen
Sammlungen erworben, haben die zwölf Szenen zur
Passion Christi aufgrund des Monogramms »HH«
zwar einen unbestrittenen Platz im Werk Hans Hol-
beins.53 Ihre Datierung schwankt aber beträchtlich,
die Zeitspanne reicht von um 1495 bis 1508. Zur
Herkunft ist nichts bekannt, Vorschläge, das Retabel
in die Augsburger Konvente St. Ulrich und Afra bzw.
Hl. Kreuz zu lokalisieren, können sich nur auf unsi-
chere Argumente stützen54 bzw. beruhen auf allzu
flüchtiger Lektüre der Quellen.55 Das vergleichsweise
schmale und hohe Retabel dürfte auf einem Kreuz-
altar gestanden haben, ein neuer Vorschlag zur Loka-
lisierung kann ohne einen glücklichen Quellenfund
nicht gemacht werden.

Die >Graue Passion« ist nicht der ausführlichste
Zyklus Holbeins zum Leiden Christi, der Frankfurter
Dominikaneraltar sollte in der Predella weitere Sze-
nen hinzufügen. In Kaisheim wurde der Hochaltar
um ein separates Retabel mit drei Bildern zur Passion
ergänzt. Aber Holbein konnte am Frankfurter und
am Kaisheimer Altar die Passion nur auf der Außen-
seite der Flügel mit jeweils acht großen Bildern zeigen
(Abb. 101, 110), das Vetterepitaph (Augsburg,
 
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