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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 8.1931

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Nr. 1 (Januar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43624#0019
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liehen Leib die Seele anatomisch finden kann. Dieses neue, aus
Erde und weither gewanderten Menschen gewachsene leiblich-
geistige Wesen aber ist Italien, als Italien zugleich Quintessenz,
Bild, aus Kampf und Schöpfung getürmtes Mal der Welt. Und nur
eins sticht dabei hervor: Die Bewegung aus dem Norden hat das
Sein des Südens in diese geistige Verwandlung geführt. Die Be-
wegung, die ein ionisches, dorisches, korinthisches Kapitell der
Säulen zu dem barbarisch erregten, dämonisch durchgeisterten, mit
Tieren, Menschen, Bandwerk durchwobenen Säulenkopf macht, die
den Außenbau eines griechischen Tempels umkehrt in das Geheim-
nis des Innenraums einer Basilika.
Beispiel ist uns Italien, Beispiel und Zeugnis des sinnvollen Wir-
kens der Kräfte, An diesem Beispiel des Gewordenen aber wird
uns das dauernde Fortwirken der Kräfte offenbar. Was Chaos, Zu-
fall, Willkür scheint, entwirrt sich und wird vielgestaltiges Wachs-
tum nach einem Gesetz, Immer wieder überkommt eine barbarische
aber jugendfrische Kraft aus dem Norden eine in Form und Ge-
staltung überreife, und schließlich künstliche Welt, Nie aller-
dings wdrd das Bild so gedrängt, geschlossen und überzeugend wie
bei der Einmaligkeit Italiens, sondern gleichsam gestreckt, ver-
breitert, verschoben und daher unübersichtlich. Und bei einem
immer mehr verdichteten Gewebe, bei einer fortwirkend stärkeren
Zerteilung der Lebensbeziehungen verliert das Ganze an Schlag-
kraft, die Ströme fließen fast unterirdisch.
Zweifellos hat im verflossenen Jahrhundert der Westen die Füh-
rung übernommen. Es bleibt zu überlegen, wie weit eine Parallel-
entwicklung zu Italien vorliegt: indem die Ströme von Norden, das
Normannische mit dem Keltischen, dem Fränkischen, dem vom
Süden heraufdrängenden Romanischen, dem über Marseille kom-
menden Erbe der Griechheit, den zu Schiff herangeführten Zeug-
nissen des fernsten Ostens, Indiens und Chinas, dem mit Gotischem
verbundenen Maurischen aus Spanien über die Provence eine neue
Einheit eingingen, die eben französisch wurde und als französisch
ebenso vielgestaltig war wie die Italiens, Ihre letzte Gipfelung er-
hielt diese westliche, französische Welt im Tafelbild, das auf der
einen Seite den Verzicht auf eine allseitige künstlerische Durch-
wirkung bedeutet, auf der anderen eine Versammlung der Welt im
engen Raum und in der Fläche bringt. Seine glänzende Endperiode
wird eingeleitet von dem normannisch heroischen Millet und durch-
läuft über die fast germanische Schwere Courbets ihre Siegesbahn
in der sinnlichen Herrlichkeit Manets, der lustvoll metaphysischen
Süße Renoirs, der lichtumsungenen Schönheit Monets, In Signac
und Seurat aber überwiegt bereits der Esprit den geheimnisvollen
Urstrom, Überfeinerung und Artistik verdecken mit den Wundern
der Leistung das langsame Verrieseln des Schöpferischen,
Mit Cezanne aber und, so verschieden beide sind, mit van Gogh
meldet sich etwas Neues, Die Kunst sucht aus der Illusion heraus-

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