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I. Ueber die Mailänder Schule. 367

Liebreiz zu geben wusste, der das unbedeutendste ornamentistische Medaillon
mit der anmuthigsten Coinposition ausgefüllt hat. Ich war in Gesellschaft
eines MaleTS zufällig hiehcr gerathen, und da in der inneren Kirche gerade
die Hora vorüber war und darin gefegt und gescheuert wurde, so benutzten
wir die Gelegenheit und machten uns schnell an's Zeichnen. Ich hatte
glücklicher Weise Kopier-Papier bei mir und zeichnete mir durch, was ich
eben abreichen konnte. Auch diese trefflichen Werke sind übrigens bereits
durch Fumagalli in Umrissen herausgegeben, in seiner Scuola diLeonardo
da Vinci in Lombardia. Nur die grossen und sehr gerühmten mehr histo-
rischen Freskomalereien Luini's zu Lugano und Sarono mögen diese noch
an Werth übertreffen. — Noch sieht man in manchen andren Kirchen
Mailands einzelne Freskomalereien von Bemardino Luini; so ein schönes
Altarbild in einer verlassenen Kapelle von S. Maria del Carmine, ein
andres in S. Giorgio al Palazzo u. s. w. Auch Manches und Bedeutendes
von seiner Hand befindet sich hier im Privatbesitz.

M}t Bernardino Luini ist, wie es scheint, keiner weiter von Leonardos
Schülern zu vergleichen. Marco d'Oggione ist schwächerund klein-
licher in Anordnung des Ganzen, im Styl der Gewandung und in der Farbe,
— er ist wie eine geringere Auflage des Luini. Dies Urtheil ergeben die
von ihm in der Brera befindlichen Fresken. Die dortigen Oelbilder sind
anmuthiger, besonders das Bild der drei Erzengel, welche den Satan stür-
zen; die Gestalten sind hier nicht bedeutend, aber immer liebenswürdig
und die Köpfe von schönem leonardeskem Ausdrucke. — Boltraffio hat
etwas mehr Kaltes in der Farbe; unter den Bildern, die ich von ihm
gesehen habe, schienen mir besonders zwei Köpfe, des Christus und der
Maria, in der Ambrosiana befindlich, wegen ihres schönen, milden Aus-
druckes bemerkenswerth. — Was dem eben Genannten in der Farbe fehlt,
hat ein andrer Schüler, Andrea Salaino, wie es scheint, zu viel. Sein
Johannes der Täufer, ebenfalls in der Ambrosiana, ist eine zarte jugend-
liche Figur von röthlichem Schmelz in der Farbe und von süssem nnd
weichem Ausdrucke. Es ist ein Brustbild, gegen den Beschauer gewandt;
er weist mit der Hand in die Höhe; unter Leonardo's Namen zeigt man
Wiederholungen desselben zu Paris, Genua und Florenz. Ein Gemälde
von ähnlicher Dimension, welches sich im Schlosse zu Berlin unter den
zurückgestellten Bildern der Solly'schen Sammlung befindet, kam mir bei
Betrachtung dieses Bildes lebhaft in die Erinnerung zurück: es ist dort
dieselbe Glut, dieselbe Weichheit und Sflssigkeit der Farbe wie in dem
Mailänder Bilde. Jenes stellt die heilige Zoe dar, welche an ihren schönen
blonden Haaren emporgewunden wird. — Ein andres grösseres Bild von
Salaino befindet sich in der Brera: eine Madonna mit dem Kinde, welches
dem heiligen Petrus die Schlüssel reicht, während Paulus daneben steht.
Die Composition des Ganzen ist von leichter Bewegung, fast nach Art des
Leonardo. Leider war das Bild sehr nachgedunkelt und an ungünstiger
Stelle aufgehängt. — Von Cesare da Sesto ist in der Ambrosiana ein
kleines Brustbild des jugendlichen Heilandes vorhanden, ein höchst zartes,
naives und einfaches Gemälde; auch dies in ähnlich röthlichem Kolorit,
Ein heiliger Hieronymus von demselben Künstler, ebendort, ist schwach.

Ich bin überzeugt, dass Leonardo und seine Mailänder Schule in ihrer
eigenthümlichen Ausbildung gewiss in einem nicht unwesentlichen ver-
wandtschaftlichem Verhältnisse zu den früheren Schulen des Ortes gestan-
den haben, und dass durch ein gründliches Studium der letzteren erst sich
 
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