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B. Die Kunst des gothischen Styles.
Werken kirchlicher Feier zugleich die eigene Macht verherrlichend. Aus
seinem Schoose gingen die Arbeiter hervor, die in emsigem handwerk-
lichem Betriebe den vielgegliederten monumentalen Unternehmungen,
welche die neue Zeit verlangte, den festen Körper gaben. Grosse zünf-
tige Corporationen, die Bauhütten, sorgten für die Stetigkeit des Betrie-
bes, für die regelrechte Ausübung.
Die verschiedenen Gattungen der Kunst vereinigen sich in der gothi-
schen Epoche auf das Innigste zur gemeinsamen Wirkung, in ihrer Be-
handlung von einander abhängig, den jeweiligen Grad ihrer Vollendung
in dieser ihrer Vereinigung findend.
Die Architektur erscheint durchweg von einem innerlich treibenden
Leben erfüllt; sie theilt dies Leben dem Baume mit, den sie umgiebt,
in bewegter Gliederung aufwärts drängend, die Starrheit der Masse den
Blicken des Beschauers entziehend. Es ist etwas geheimnissvoll Schwe-
bendes in dieser Gestaltung des architektonischen Innern, das sich in
seinem Höhendrange, in der scheinbaren Abwesenheit der festen Gegen-
gewichte, gern zu einer wunderähnlichen Wirkung steigert. Die Wände
gehen zu mehr und mehr geweiteten Fensteröffnungen auseinander, deren
Sprossenwerk mit durchleuchteten Bildern, Werken der Glasmalerei, aus-
gesetzt ist; was an ungegliederter Wandfläche übrig bleibt, bietet sich
ähnlicher Belebung durch gemaltes oder sculptirtes Bildwerk dar. Die
Decke wölbt sich in luftig geschwungenen Rippen; die Füllstücke zwischen
diesen (die Gewölbkappen) sind gern mit leichter Dekoration versehen,
häufig Sternen auf blauem Grunde, ebenfalls allem Lastgefüge fremd.
Dem aufstrebenden Element entspricht die durchgängig angewandte Linie
des Spitzbogens, die flüssige Bildung der baulichen Einzeltheile. Die
festen Massen, welche diesem schwebenden Innenbau den sichern Halt
geben, liegen im Aeussern des Gebäudes, dem constructiven Verhältnis»
gemäss auf einzelne Punkte vertheilt, als aufragende Strebepfeiler, von
denen sich, wo über niedern Seitenräumen ein höherer Mittelraum empor-
steigt , stützende Bögen dem letzteren entgegenspannen, in reichlicher
Wiederholung des Systems, wo bei einer grösseren Zahl der Innenräume
eine vermehrte oder gesteigerte Abstufung der Höhen eintritt. Die Stirn-
seiten des Baues werden, in mehr oder weniger reicher Anordnung, durch
Thürme gefestigt und abgeschlossen; an der Facade bildet sich der Thurm-
bau in vorzüglich machtvoller Weise aus. Das System vorspringender
Strebepfeiler wird, wie bei dem Körper des Gebäudes, so auch bei dem
Thurme zur Anwendung gebracht; es ist von wesentlicher Einwirkung
auf eine leichtere Aufgipfelung seiner Theile. So entschieden sich in den
Strebepfeilern die festen Massentheile des Baues darstellen, so werden
doch auch sie von der lebendig aufstrebenden Bewegung, die in dem In-
nern waltet, ergriffen; sie stufen sich geschossweise ab, sie empfangen
tabernakelartige Krönungen über den einzelnen Stufen, sie gewinnen hie-
rmit den Anschein eines Ueberschusses an Kraft, der in jedem Theile, den
Fuss des folgenden umkleidend, selbständig emporsteigt und den obersten
Gipfel mit einem frei aufragenden Thürmchen, der sogenannten „Fiale“
krönt. Bei dem Thurmbau, der gewissermaassen nur aus Strebemassen
zusammengesetzt ist, entfaltet sich diese ßehandlungsweise zur reichsten
B. Die Kunst des gothischen Styles.
Werken kirchlicher Feier zugleich die eigene Macht verherrlichend. Aus
seinem Schoose gingen die Arbeiter hervor, die in emsigem handwerk-
lichem Betriebe den vielgegliederten monumentalen Unternehmungen,
welche die neue Zeit verlangte, den festen Körper gaben. Grosse zünf-
tige Corporationen, die Bauhütten, sorgten für die Stetigkeit des Betrie-
bes, für die regelrechte Ausübung.
Die verschiedenen Gattungen der Kunst vereinigen sich in der gothi-
schen Epoche auf das Innigste zur gemeinsamen Wirkung, in ihrer Be-
handlung von einander abhängig, den jeweiligen Grad ihrer Vollendung
in dieser ihrer Vereinigung findend.
Die Architektur erscheint durchweg von einem innerlich treibenden
Leben erfüllt; sie theilt dies Leben dem Baume mit, den sie umgiebt,
in bewegter Gliederung aufwärts drängend, die Starrheit der Masse den
Blicken des Beschauers entziehend. Es ist etwas geheimnissvoll Schwe-
bendes in dieser Gestaltung des architektonischen Innern, das sich in
seinem Höhendrange, in der scheinbaren Abwesenheit der festen Gegen-
gewichte, gern zu einer wunderähnlichen Wirkung steigert. Die Wände
gehen zu mehr und mehr geweiteten Fensteröffnungen auseinander, deren
Sprossenwerk mit durchleuchteten Bildern, Werken der Glasmalerei, aus-
gesetzt ist; was an ungegliederter Wandfläche übrig bleibt, bietet sich
ähnlicher Belebung durch gemaltes oder sculptirtes Bildwerk dar. Die
Decke wölbt sich in luftig geschwungenen Rippen; die Füllstücke zwischen
diesen (die Gewölbkappen) sind gern mit leichter Dekoration versehen,
häufig Sternen auf blauem Grunde, ebenfalls allem Lastgefüge fremd.
Dem aufstrebenden Element entspricht die durchgängig angewandte Linie
des Spitzbogens, die flüssige Bildung der baulichen Einzeltheile. Die
festen Massen, welche diesem schwebenden Innenbau den sichern Halt
geben, liegen im Aeussern des Gebäudes, dem constructiven Verhältnis»
gemäss auf einzelne Punkte vertheilt, als aufragende Strebepfeiler, von
denen sich, wo über niedern Seitenräumen ein höherer Mittelraum empor-
steigt , stützende Bögen dem letzteren entgegenspannen, in reichlicher
Wiederholung des Systems, wo bei einer grösseren Zahl der Innenräume
eine vermehrte oder gesteigerte Abstufung der Höhen eintritt. Die Stirn-
seiten des Baues werden, in mehr oder weniger reicher Anordnung, durch
Thürme gefestigt und abgeschlossen; an der Facade bildet sich der Thurm-
bau in vorzüglich machtvoller Weise aus. Das System vorspringender
Strebepfeiler wird, wie bei dem Körper des Gebäudes, so auch bei dem
Thurme zur Anwendung gebracht; es ist von wesentlicher Einwirkung
auf eine leichtere Aufgipfelung seiner Theile. So entschieden sich in den
Strebepfeilern die festen Massentheile des Baues darstellen, so werden
doch auch sie von der lebendig aufstrebenden Bewegung, die in dem In-
nern waltet, ergriffen; sie stufen sich geschossweise ab, sie empfangen
tabernakelartige Krönungen über den einzelnen Stufen, sie gewinnen hie-
rmit den Anschein eines Ueberschusses an Kraft, der in jedem Theile, den
Fuss des folgenden umkleidend, selbständig emporsteigt und den obersten
Gipfel mit einem frei aufragenden Thürmchen, der sogenannten „Fiale“
krönt. Bei dem Thurmbau, der gewissermaassen nur aus Strebemassen
zusammengesetzt ist, entfaltet sich diese ßehandlungsweise zur reichsten