Allgemeine Bemerkungen.
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und ebenso finden wir in der Früfizeit des 16. Jahrhunderts einzelne
deutsche Arbeiten, die sich, freilich Ausnahmen unter dem, was im All-
gemeinen geleistet ward, aus der nationalen Richtung, in ihrer völlig
unabhängigen Eigenthümlichkeit, zu einer hohen und gediegenen Vollen-
dung entfalten. Dass die nordische Kunst hinter der italienischen zurück-
blieb, beruht, mehr als auf dem Mangel jenes einen Förderungsmittels,
auf den allgemeineren, das gesammte Leben umfassenden culturhistori-
schen Verhältnissen. Im Korden — d. h. zunächst bei den Völkern
deutscher Zunge -— drang jene neue geistige Entwickelung, welche mit
dem 15. Jahrhundert begann, ungleich tiefer bis in das innerste Mark
des Lebens; sie ward zum Keime eines wesentlich neuen und freieren
Daseins, welches sich zunächst in der kirchlichen Reformation offenkundig
geltend machen sollte und welches wiederum eine reich gestaltete Zukunft
verhiess. Sie musste somit, auf der einen Seite, hemmend, beschränkend
und selbst unterdrückend auf die alten Lebensinteressen wirken; und
eben so wenig konnte sie sich, auf der andern Seite, gleich von vorn-
herein in bedeutsamer künstlerischen Production äussern. Sie musste
nothwendig den Gleist zuvor auf das abstracte Gebiet der Speculation
führen, solcher Gestalt gewissermassen die Grenzen des neu gewonnenen
Reiches auszustecken, ehe sie sich, mit unbefangener Lust, dem für Ge-
miith und Sinne erfreulichen Ausbau desselben hingeben konnte. Wenn
man eine kleinere Phase in der Entwickelung des menschlichen Geschlech-
tes mit einer grossen vergleichen darf, so kann man diese neuen Verhält-
nisse zwischen dem gesteigerten geistigen Bewusstsein und der künstleri-
schen Production denjenigen Erscheinungen zur Seite stellen, wreiche das
erste Auftreten des Christenthums mit sich führte; und leider sollte auch
hier die neue Kraft, welche in die Welt eingetreten war, erst durch ver-
heerende Stürme erprobt werden.
Die nordische Kunst bleibt demnach, was die in Rede stehende Periode
anbetrifft, im Allgemeinen auf derselben Stufe der Entwickelung stehen,,
in welcher sie bereits mit dem Beginn derselben auftritt; die einzelnen
Unterschiede, die wir in den Schulen der verschiedenen Gegenden und
in dem Wechsel der Jahrzehnte bemerken, sind nicht so bedeutend, dass
wir in diesen eine völlig neue Stufe der Entwickelung wahrnehmen könn-
ten. Gegen den Schluss der Periode, d. h. namentlich im zweiten Vier-
tel des 16. Jahrhunderts, tritt allerdings ein abweichendes Verhältnis»
ein; man wird nunmehr auf die formale Ausbildung, welche die italie-
nische Kunst erreicht hatte, aufmerksam und man lässt es sich angelegen
sein, dieselbe mit der heimischen Darstellungsweise zu verschmelzen.
Doch begreift man im Wesentlichen (was sich durch das vorher Gesagte
zur Genüge erklärt) nur diese formale Seite der Ausbildung, nicht die
inneren Gründe, aus denen dieselbe hervorgegangen war; es ist dies also
zumeist nur eine äussere Annäherung an die Erscheinungen der italieni-
schen Kunst.
Dabei aber ist zu bemerken, dass sich in der nordischen, und beson-
ders in der eigentlich deutschen Kunst, im weiteren Verlauf der in Rede
stehenden Periode zugleich ein ganz besonderes Element geltend macht.
Es ist das Phantastisch-Humoristische. Wir erkennen dazu überhaupt
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und ebenso finden wir in der Früfizeit des 16. Jahrhunderts einzelne
deutsche Arbeiten, die sich, freilich Ausnahmen unter dem, was im All-
gemeinen geleistet ward, aus der nationalen Richtung, in ihrer völlig
unabhängigen Eigenthümlichkeit, zu einer hohen und gediegenen Vollen-
dung entfalten. Dass die nordische Kunst hinter der italienischen zurück-
blieb, beruht, mehr als auf dem Mangel jenes einen Förderungsmittels,
auf den allgemeineren, das gesammte Leben umfassenden culturhistori-
schen Verhältnissen. Im Korden — d. h. zunächst bei den Völkern
deutscher Zunge -— drang jene neue geistige Entwickelung, welche mit
dem 15. Jahrhundert begann, ungleich tiefer bis in das innerste Mark
des Lebens; sie ward zum Keime eines wesentlich neuen und freieren
Daseins, welches sich zunächst in der kirchlichen Reformation offenkundig
geltend machen sollte und welches wiederum eine reich gestaltete Zukunft
verhiess. Sie musste somit, auf der einen Seite, hemmend, beschränkend
und selbst unterdrückend auf die alten Lebensinteressen wirken; und
eben so wenig konnte sie sich, auf der andern Seite, gleich von vorn-
herein in bedeutsamer künstlerischen Production äussern. Sie musste
nothwendig den Gleist zuvor auf das abstracte Gebiet der Speculation
führen, solcher Gestalt gewissermassen die Grenzen des neu gewonnenen
Reiches auszustecken, ehe sie sich, mit unbefangener Lust, dem für Ge-
miith und Sinne erfreulichen Ausbau desselben hingeben konnte. Wenn
man eine kleinere Phase in der Entwickelung des menschlichen Geschlech-
tes mit einer grossen vergleichen darf, so kann man diese neuen Verhält-
nisse zwischen dem gesteigerten geistigen Bewusstsein und der künstleri-
schen Production denjenigen Erscheinungen zur Seite stellen, wreiche das
erste Auftreten des Christenthums mit sich führte; und leider sollte auch
hier die neue Kraft, welche in die Welt eingetreten war, erst durch ver-
heerende Stürme erprobt werden.
Die nordische Kunst bleibt demnach, was die in Rede stehende Periode
anbetrifft, im Allgemeinen auf derselben Stufe der Entwickelung stehen,,
in welcher sie bereits mit dem Beginn derselben auftritt; die einzelnen
Unterschiede, die wir in den Schulen der verschiedenen Gegenden und
in dem Wechsel der Jahrzehnte bemerken, sind nicht so bedeutend, dass
wir in diesen eine völlig neue Stufe der Entwickelung wahrnehmen könn-
ten. Gegen den Schluss der Periode, d. h. namentlich im zweiten Vier-
tel des 16. Jahrhunderts, tritt allerdings ein abweichendes Verhältnis»
ein; man wird nunmehr auf die formale Ausbildung, welche die italie-
nische Kunst erreicht hatte, aufmerksam und man lässt es sich angelegen
sein, dieselbe mit der heimischen Darstellungsweise zu verschmelzen.
Doch begreift man im Wesentlichen (was sich durch das vorher Gesagte
zur Genüge erklärt) nur diese formale Seite der Ausbildung, nicht die
inneren Gründe, aus denen dieselbe hervorgegangen war; es ist dies also
zumeist nur eine äussere Annäherung an die Erscheinungen der italieni-
schen Kunst.
Dabei aber ist zu bemerken, dass sich in der nordischen, und beson-
ders in der eigentlich deutschen Kunst, im weiteren Verlauf der in Rede
stehenden Periode zugleich ein ganz besonderes Element geltend macht.
Es ist das Phantastisch-Humoristische. Wir erkennen dazu überhaupt