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Die Lehrlinge nach Möglichkeit in Werkstätten
unterzubringen, werden jetzt erfreulicherweise schon
viele Anstrengungen gemacht. Diese Bestre-
bungen sollten in hohem Maße unter-
stützt werden und zur Erzielung einer
Besserung auf kunsthandwerklichem Ge-
biete müßten folgende Forderungen ge -
stellt werden:

Geschickte Meister, gute Werkstätten werden von
der Regierung ausgewählt und empfohlen zur
Lehrlingshaltung.

Die hervorragendsten Künstler aus den verschiede-
nen kunstgewerblichen Zweigen, ausgezeichnete
Handwerker und die erfahrensten Fachleute in Un-
terrichtsfragen müßten die Auswahl der Meister,
denen auf bestimmte Zeit die Lehrlingserziehung
anvertraut wird, in die Hand nehmen.

Die Erlaubnis zur Lehrlingshaltung wird auf
mehrere Jahre erteilt und eventuell erneuert.
Zn angemessener Zahl werden diese Werkstätten in
Stadt und Land bezeichnet, die eine ihrem Ge-
schäftsbetriebe entsprechende Anzahl Lehrlinge hal-
ten dürfen. Armen Lehrlingen wird das Lehrgeld
bezahlt.

Der junge Mann, der zum Handwerk will, hätte
nach 8jährigem Besuch der Volksschule in die
Lehre zu treten.

Der endgültigen Aufnahme in die werkstätte geht
eine Probezeit voraus.

Neben der Arbeit müte ein geeigneter Zeichenunter-
richt laufen und dem jungen Manne Gelegenheit
geboten sein, sich allgemein weiterzubilden.

Zn allen größeren Städten kann das Zeichnen
nach der Natur geübt werden, Bibliotheken und
Räume für Vorträge aller Art sind bereitgestellt.
Greift der Gehilfe zum Wanderstabe, so hat er
eine Liste ausgewälter Meister des ganzen Landes
zur Hand, die Gewähr geben, daß er sich dort
in geeigneter Art weiterbilden kann.

Das Recht, Lehrlinge erziehen zu dürfen, würde
den Namen des ganzen Geschäftes heben, dieser
Ehre teilhastig zu sein, müßte das Bestreben aller
Meister werden. Zn der werkstätte ist die Werk-
zeughandhabung und Materialbehandlung, kurz
das praktische Arbeiten die Hauptsache. Nach
drei- bis vierjähriger Lehrzeit wird eine Ge-
sellprüfung verlangt. Bleibt der junge Mann
beim Handwerk, so macht er nach einer mehrjähri-
gen Gehilfenzeit die Meisterprüfung, die aber nicht
unter allen Umständen zur Lehrlingserziehung
berechtigt. Strebt er mit der nötigen Begabung
und gutem, handwerklichen Können aber weiter,
so kann er je nach dem verlaufe einer Probezeit

in eine werkstätte treten, die künstlerischen Zielen
zustrebt. Die hier erläuterte Lrziehungs-
art stellt den Werdegang der M ei st er
aus alter Zeit sowie vieler unter uns
weilender Tüchtigen dar und ist den je-
weiligen Bedürfnissen leicht anzupassen.
Dem wandern ist großer wert beizulegen. Der
junge begabte Mann geht, mit einem Stipendium
versehen, in eine gute werkstätte des Zn- oder Aus-
landes, verdient mit seiner Hände Arbeit sein Brot
und benützt daneben alle ihm erreichbaren Bil-
dungsmöglichkeiten. Aus Dänemark suchten vor
dem Kriege z. B. seit Zahrzehnten junge tüchtige
Handwerker mit Staatsunterstützung deutsche Ge-
schäfte auf, die einen Namen hatten und ihnen
als Arbeitsstätte empfohlen waren. Diese Sti-
pendiaten trachteten darnach, sich immer an den
besten Arbeiten in der Werkstatt zu beteiligen,
sahen sich Land und Leute an und suchten sich alles,
was ihnen zur Fortbildung dienlich war, anzueignen.
Es ist selbstverständlich, daß eine so grundlegende
Umwälzung auf dem Gebiete der Erzie-
hung des kunsthandwerklichen Nachwuchses
nicht mit einem Schlage oder in kurzer Zeit zu
erreichen ist. Die Wiederbelebung der Werkstatt-
erziehung würde sich auf Zahre hinziehen, manche
Schulen werden zunächst als Notbehelf weiter be-
stehen. Zm Laufe der Zeit wird sich dann zeigen,
welche Lehrstoffe der Schule verbleiben und welche
Schulen ein Fortbestandsrecht haben. Am ersten
müßten die Schullehrwerkstätten fallen, denn die
Überzeugung, daß aus einer solchen Lehrwerkstätte,
sagen wir einmal, noch kein tüchtiger Schreiner
gehilfe hervorgegangen ist oder hervorgehen kann,
ist allgemein, würde der weg zur praktischen
Kunsterziehung mit aller Kraft angebahnt, so
wird der Besuch der heutigen Fach und Kunstge-
werbeschulen von selbst zurückgehen und die bisher
dafür verwendeten Staatsmittel werden für die
praktische Werkstatterziehung viel zweckmäßiger an-
gewendet. Aus der Fach- und Tagespresse ist
übrigens ersichtlich, daß nicht nur vereinzelte
Stimmen eine Rückkehr zur Werkstatterziehung
fordern, sondern daß diese Bewegung weite Kreise
umfaßt. Die Art der Überführung der Kunst-
schulen in den werkstattbetrieb ist eine Frage, die
in den einzelnen Städten je nach dem heutigen
Stande der dort bereits bestehenden Werkstätten
und der Nachfrage nach kunstgewerblichen Er-
zeugnissen gesondert zu behandeln ist und einer
weiteren eingehenden Erörterung bedarf.

Der Gedanke an unsere Zugend, die bei der
Berufswahl auf den richtigen weg geleitet werden

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