und Freie Ausstellung, der Verein Münchener Aqua-
rellisten und Landesverband b,K.B. baben ihre Säle
anregendausgefüllt. Mit dergesamtenrunddreitausend
Nummern zählenden Schau kommt man indessen rasch
ins Reine, sofern man sie in die drei scharf umgrenzten
Gruppen scheidet, in die heute schließlich das ganze
neuzeitliche Kunstschaffen zu gliedern ist. Den Typ
der Konservativen und auch der ewig Gestrigen, der
Epigonen oder harmonisch in sich Entwichelten, die zu
sich selber heimfanden, finden wir wie gewohnt am
häufigsten im Ostflügel im treuen Sdio-
ße derKünstlergenossenschaft. Die Se-
zession indessen zerfällt von Jahr zu
Jahr mehr in sich selber. Sichtbar schei-
det sie sich in zwei Hauptgruppen, noch
mehr, die ganze Sezession ist Chaos:
Sezession wider Sezession. Die Revo-
lutionäre von einst, die heute längst ei-
ne Tradition verkörpern, „charakteri-
stisch" wurden und in Art oder Manier
erstarrten, stehen wider die neuen, wil-
den Revolutionäre, die, mag man sie
totlächeln oder nicht, immer wieder ei-
nen Trumpf ausspielen und jedenfalls
die Kunst in Bewegung, uns in Atem halten. Hat man
diese Dreiteilung vorgenommen, lehnt innerlich zwei
Teile ab, schließt sich — sei es den geruhsam gediegenen
„Alten", den gemäßigten Sezessionisten oder den or-
giastisch-phantastisch tobenden Neutönern — an, so
wird man sich schließlich unwillkürlich nach dem Er-
löser fragen, nach jenem Mann unter Dreitausend,
die bloß Nummern sind, der kühn und heißen Atems
alles mit fortreißt, der Mann, dem das Hosiannah
gebührt. Wir werden fragen nach den Männern, die
uns von der neuen Renaissance der Kunst überzeugen.
Wir werden fragen und sie nicht finden. Resigniert
schleichen wir auch heuer von dannen.
Unddennoch klingt et-
was in uns nach, wie das
Lied von der Hoffnung.
Über allem Handwerk-
lich-Tüchtigen, das sich
heute als die Seele deut-
scher Kunst gibt, leuch-
tet doch der Wille zum
Großen. Unserer Kunst
von heute fehlt zwar das
Heimgefühl, sie hat keine
Bodenständigkeit, sie ist
international und jedem
Windhauch von außen EUGEN SCHERER
erlegen, vor allem auch kämpft sie den erbittertsten aller
deutschen Kämpfe: den Wirtschaftskampf. Allein der
Kunst oder vielmehr dem Künstler von heute fehlt nicht
die Gläubigkeit an sich selbst. So hin-und hergeworfen
wir sind, so ohne festen Anhalt und Standpunkt, durch
Kriege und Revolutionen innerlich und äußerlich er-
schüttert — diese Gläubigkeit wedct doch auch Hoffnung.
Vielleicht kommt uns auf der Linie der „neuen Kunst",
die, wie die Aufmachung der Gewerbeschau zeigt, ge-
wiß die Elemente zu einem neuen Stil in sich trägt, die
Weltlösung und künstlerische Welt-
erlösung, nach der wir lechzen. Viel-
leicht — vielleicht auch nicht. Aber ob
diese Erlösung aus Evolution oder
Revolution kommen mag, heute jeden-
falls kam sie nicht, weil unserer Kunst
die Synthese fehlt. Die Synthese wird
sich erst ergeben, wenn wir endlid. wie-
dereinensicherenPolfürunserenStand-
punkt, eine — nicht just neue, jedoch
wahrhafte Weltanschauung finden.
ALEXANDER WEISS
Schmuck (Glaspalast)
DAS KUNSTGEWERBE.
Als eine von diesen Strömungen gleich
einem Golfstrom umspülte, berührte und doch seltsam
unberührte Insel tut sich wiederum die vom Bayerischen
Kunstgewerbeverein veranstalteteKunstgewerbeschau
im Glaspalast auf. In zwei Räumen eine Fülle vonKost-
barkeiten, wenn auch noch lange nicht das Köstlichste,
was Münchener Kunstgewerbe zu bieten vermag.
Labsal ist diese Schau, vor allem weil das färben-und
gespinstereiengesättigte Auge hier wiederum auf reale
Dinge fällt, sodann aber weil für diese Abteilung ge-
rade das Umgekehrte von dem gilt, was von der so-
genannten „hohen Kunst"gilt. Daß dem so ist, das hat
das doppelte Ausstellungsjahr 1922 geklärt. Es erwies,
daß das Kunstgewerbe von heute nicht wie Malerei und
Bildnerei in Revolution, sondern in einer allerdings sehr
kräftig ausschwingenden
Entwicklung steht. Hier
brauchen keine Tradi-
tionen übersprungen zu
werden,Psychologie und
Kunstphilosophie gelten
hiernichts,hier gilt nur die
Sache. DasneueWerden
derKunstgehtamKunst'
gewerbe ganz selbstver-
ständlich nicht spurlos
vorüber, aber was in der
extremsten Kampffront
Dose in Silber (Glaspalast) der hohen Kunst ab-
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rellisten und Landesverband b,K.B. baben ihre Säle
anregendausgefüllt. Mit dergesamtenrunddreitausend
Nummern zählenden Schau kommt man indessen rasch
ins Reine, sofern man sie in die drei scharf umgrenzten
Gruppen scheidet, in die heute schließlich das ganze
neuzeitliche Kunstschaffen zu gliedern ist. Den Typ
der Konservativen und auch der ewig Gestrigen, der
Epigonen oder harmonisch in sich Entwichelten, die zu
sich selber heimfanden, finden wir wie gewohnt am
häufigsten im Ostflügel im treuen Sdio-
ße derKünstlergenossenschaft. Die Se-
zession indessen zerfällt von Jahr zu
Jahr mehr in sich selber. Sichtbar schei-
det sie sich in zwei Hauptgruppen, noch
mehr, die ganze Sezession ist Chaos:
Sezession wider Sezession. Die Revo-
lutionäre von einst, die heute längst ei-
ne Tradition verkörpern, „charakteri-
stisch" wurden und in Art oder Manier
erstarrten, stehen wider die neuen, wil-
den Revolutionäre, die, mag man sie
totlächeln oder nicht, immer wieder ei-
nen Trumpf ausspielen und jedenfalls
die Kunst in Bewegung, uns in Atem halten. Hat man
diese Dreiteilung vorgenommen, lehnt innerlich zwei
Teile ab, schließt sich — sei es den geruhsam gediegenen
„Alten", den gemäßigten Sezessionisten oder den or-
giastisch-phantastisch tobenden Neutönern — an, so
wird man sich schließlich unwillkürlich nach dem Er-
löser fragen, nach jenem Mann unter Dreitausend,
die bloß Nummern sind, der kühn und heißen Atems
alles mit fortreißt, der Mann, dem das Hosiannah
gebührt. Wir werden fragen nach den Männern, die
uns von der neuen Renaissance der Kunst überzeugen.
Wir werden fragen und sie nicht finden. Resigniert
schleichen wir auch heuer von dannen.
Unddennoch klingt et-
was in uns nach, wie das
Lied von der Hoffnung.
Über allem Handwerk-
lich-Tüchtigen, das sich
heute als die Seele deut-
scher Kunst gibt, leuch-
tet doch der Wille zum
Großen. Unserer Kunst
von heute fehlt zwar das
Heimgefühl, sie hat keine
Bodenständigkeit, sie ist
international und jedem
Windhauch von außen EUGEN SCHERER
erlegen, vor allem auch kämpft sie den erbittertsten aller
deutschen Kämpfe: den Wirtschaftskampf. Allein der
Kunst oder vielmehr dem Künstler von heute fehlt nicht
die Gläubigkeit an sich selbst. So hin-und hergeworfen
wir sind, so ohne festen Anhalt und Standpunkt, durch
Kriege und Revolutionen innerlich und äußerlich er-
schüttert — diese Gläubigkeit wedct doch auch Hoffnung.
Vielleicht kommt uns auf der Linie der „neuen Kunst",
die, wie die Aufmachung der Gewerbeschau zeigt, ge-
wiß die Elemente zu einem neuen Stil in sich trägt, die
Weltlösung und künstlerische Welt-
erlösung, nach der wir lechzen. Viel-
leicht — vielleicht auch nicht. Aber ob
diese Erlösung aus Evolution oder
Revolution kommen mag, heute jeden-
falls kam sie nicht, weil unserer Kunst
die Synthese fehlt. Die Synthese wird
sich erst ergeben, wenn wir endlid. wie-
dereinensicherenPolfürunserenStand-
punkt, eine — nicht just neue, jedoch
wahrhafte Weltanschauung finden.
ALEXANDER WEISS
Schmuck (Glaspalast)
DAS KUNSTGEWERBE.
Als eine von diesen Strömungen gleich
einem Golfstrom umspülte, berührte und doch seltsam
unberührte Insel tut sich wiederum die vom Bayerischen
Kunstgewerbeverein veranstalteteKunstgewerbeschau
im Glaspalast auf. In zwei Räumen eine Fülle vonKost-
barkeiten, wenn auch noch lange nicht das Köstlichste,
was Münchener Kunstgewerbe zu bieten vermag.
Labsal ist diese Schau, vor allem weil das färben-und
gespinstereiengesättigte Auge hier wiederum auf reale
Dinge fällt, sodann aber weil für diese Abteilung ge-
rade das Umgekehrte von dem gilt, was von der so-
genannten „hohen Kunst"gilt. Daß dem so ist, das hat
das doppelte Ausstellungsjahr 1922 geklärt. Es erwies,
daß das Kunstgewerbe von heute nicht wie Malerei und
Bildnerei in Revolution, sondern in einer allerdings sehr
kräftig ausschwingenden
Entwicklung steht. Hier
brauchen keine Tradi-
tionen übersprungen zu
werden,Psychologie und
Kunstphilosophie gelten
hiernichts,hier gilt nur die
Sache. DasneueWerden
derKunstgehtamKunst'
gewerbe ganz selbstver-
ständlich nicht spurlos
vorüber, aber was in der
extremsten Kampffront
Dose in Silber (Glaspalast) der hohen Kunst ab-
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