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ANNA KURREK=HAGN Wandbehang <G[aspalast)

stoßend und widerlich erscheint, ist in der angewandten
Kunst, gerade weil sie sich nicht in Psychologie und Phi-
losophie verlieren kann und stets die Sache, das „Ding
an sich" zum Mittelpunkt zu nehmen gezwungen ist, un-
ter Umständen von hohem Reiz. Während in der biU
denden Kunst Expressionismus gegen Sezessionismus
oder Überlieferung ausgetriimpft werden, kann das
im Kunstgewerbe nicht geschehen. Um es drastisch im
Beispiel zu sagen: Man kann eine expressionistische
Landschaft auch zum Porträt verzerren, sachliche Teile
expressionistisduanorganisch zur anderen Sache fügen.
Ein Trinkbecher aber bleibt Trinkbecher, auch wenn
ihn expressionistische Figuren oder Ornamente un-
geschmacklich verunstalten, auch wenn er mit über-
lieferten Ornamenten geschmacklos durchgeführt ist.
Hier besteht durch die Sache bleibende Sache zwischen

Altem und Neuem ein Zusammenhang. — Die zwei
Räume im Glaspalast vermögen leider weniger zu
veranschaulichen, wie Altes und Neues, sofern es
nur geschmacklich aufgefaßt ist, sich gut nebeneinan-
der vertragen, weil von allen kunstgewerblichen Ge^
bieten nur ein Weniges gezeigt werden kann. Gegen-
über der Gewerbeschau mußte diese Schau heuer ins
Hintertreffen kommen, auch sie gibt sich mehr als Ver-
kaufs--,denn als repräsentative Ausstellung. Die Doppel-
beteiligung an zwei Ausstellungen und nicht zuletzt
die günstige Verkaufskonjunktur für manche Zweige
wirkte gleichwohl nicht ungünstig zurück auf dieQua-
lität der zur Schau gebrachten Gegenstände. Aus zwei
Gründen mag man es sogar besonders dankenswert
empfinden, daß derKunstgewerbeverein sich allem zum
Trotz gerade heuer entschloß, seine Glaspalast=Aus-
Stellung nicht fallen zu lassen. Einmal weil hier der
Ausstellungsgegenstand in neutraler Umgebung für
sich selbst wirken kann. Eine idealere Aufstellung als
diese Schaufenster^Ansicht läßt sich zwar leicht wün-
sehen, jedoch unter gegebenen Verhältnissen schwer
durchführen. Im Glaspalast indessen schlägt nicht die
Aufmachung das Werk tot, wie in der Gewerbeschau.
Andererseits ist die kunstgewerbliche Glaspalast=Aus-
Stellung nicht wie die Gewerbeschau als Huldigung
für eine einseitige Stilrichtung veranstaltet. Gerade
darin liegt der Wert dieser Ausstellung im Glashaus,
daß sie Vergleichsmöglichkeiten zuläßt zwischen neuen
Stilen und traditioneller Auffassung. Und wer genau
zusieht, muß sich verblüfft gestehen, wie lebendig diese
„traditionelle" Auffassung ist und wie zwanglos in
der angewandten Kunst ein Stil in den anderen über-
fließt oder mit weither aus der Sache kommenden Har-
monie einer neben dem anderen besteht.

Am auffälligsten tritt diese Tatsache in der Gruppe
Metall in Erscheinung. Wer möchte z. B. Anstoß
nehmen, den herrlichen rot schimmernden Glaskelch
Meister Heidens, dessen Schale von Goldspangen um^
schlössen und in dessen Fuß seltenes Gestein funkelt,
einem Sassaniden expressionistischer Erfindung in die
Hand zu drücken, trotzdem des Kelchs Stilelemente
weit entfernt von Persertum und hysterischen Ex-
pressionen sind? Besehen wir den Messingleuchter vom
Fr. Schmid^Geiler, wie hier in der schlank als Kerzen-
träger aufstrebenden Frauengestalt sich die expressio-
nistische Ausformung mit „traditionelleren" Lösungen
harmonisch verbindet! Ähnlich ist der Eindruck des:
harmonischen Verschmolzenseins alten und neuen Stils
bei dem Leuchter mit der freischwebenden Madonna
im Oval des Kerzenträgers, den die Gesellschaft für
Gebrauchskunst zeigt, desgleichen bei der von Rudolf
Reiner mit zierlichem Schwung und Stilgefühl gefer*

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