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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 74.1924

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Dekorative Techniken: gestickte Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.8625#0006
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Kunstgewerbe hätte führen müssen, da es mit seiner
Technik, seinen spezifischen Aufgaben für die Be-
schränkung auf das streng Stilisierte, auf das monu-
mental Dekorative prädestiniert ist. Daß es unter»
lassen wurde, daß Möglichkeiten ungenützt blieben,
hat das Kunstgewerbe arg zurückgeworfen. Heute
ist ja manches besser, aber zu einer systematischen
Um= und Einkehr ist es trotzdem nicht gekommen.
Man kann es nicht oft genug wiederholen, daß das
Heil des modernen Kunstgewerbes in der dekorativen
Auffassung alles Formalen liegt. Das wird selbst am
kleinsten Gegenstand die Linie monumentaler machen.
Je schlichter und einfacher die Formensprache, desto
gewaltiger ist deren Wirkung. Die ganze romanische
Periode ist ein fortgesetzter Beweis für diese Tatsache.
Was hat die futuristischen Künstler an dem ägyp»
tischen Stil so begeistert oder an den japanischen Holz»
schnitten? Das wundervolle Ebenmaß des Formalen,
die prächtigen, so einfach monumentalen, rein dekora»
tiven aber desto packenderen Linien, die im streng
Flächigen sich erschöpfen und die hohle Phrase ge»
wollter Naturwahrheit ebenso vermeiden, wie die
eitle Deklamation leeren Könnens und sophistischen
Details.

Was verstehen wir nun unter dekorativem Stil,
dekorativen Techniken? Ein Beispiel muß dies klar
machen. All unsere Erkenntnis und die Möglichkeit,
durch die Sprache dem Mitmenschen das zu vermitteln,
was wir ihm sagen wollen, beruht auf der Fähigkeit,
das ganze Gebiet des Sinnenfälligen und Geistigen in
bestimmte Begriffe zu binden. Begriff ist nichts anderes,
als die Zusammenfassung der wesentlichen Merkmale
eines Dings, durch das es sich von etwas anderem,
Ähnlichen oder ganz Unähnlichen unterscheidet. Je
klarer wir denken, je schärfer wir die Dinge beobachten,
desto bestimmter wird der Begriff und desto geringer
die Worte, die wir madien müssen. Es gibt keine
größere Freude für einen, der aufnehmen soll, als wenn
ihm möglichst scharfe Begriffe <die immer die kürzesten
sind), vermittelt werden. Nun drückt ja jedes, auch
noch so bescheidene Kunstwerkchen, irgend eine Idee,
irgend einen Begriff aus. Es ist etwas Harmloses, wenn
wir beispielsweise an einen Leuchter, an einen Buch»
einband denken. Je bestimmter und einfacher, je strenger
und konzentrierter wir den in unserem Inneren <durch
öftere Erfahrungen)vorhandenen Begriffeines solchen
Gegenstandes verwirklicht sehen, desto größer ist un-
sere Freude daran,- wo er aber durch allerlei ranken»
des Beiwerk, und sei es noch so kunstvoll, verdeckt,
verdunkelt wird, ist unsere Befriedigung um so ge-
ringer, es sei denn, daß die Bewunderung des rein
Artifiziellen ablenkt, Nur ein weniger scharf Blidcen»

der wird sich indeß dadurch ablenken, verblüffen oder
gar befriedigen lassen, und selbst wenn es Mode ist,
die vorübergehend wie ein Wolkenbruch auf das klare
und schlichte Empfinden der Masse niederprasselt, so
kommt hernach um so stärker die Reaktion, die aus»
fegt und verbannt. Die Beschränkung auf das Wesent»
liehe gibt allem, also in erster Linie dem künstlerischen
Gegenstand, einfache, aber um so charakteristischere
Linien, Das einfachste ist die gerade Linie in ihrer Ver»
bindung zu Parallelen, sich schneidenden und wieder
findenden Gegenlinien. Wo eine Rundung eintritt, hat
sie etwas ganz Besonderes zu sagen. Dies ist das Ge»
rippe, es sind die Merkmale, die nun durch die kunst»
vollen Gesetze der Sprache zum Begriff, zum Satz ge-
formt werden, ihren Wohllaut erhalten und eine, wenn
man das Wort einmal am richtigen Ort anwenden darf,
ästhetische Befriedigung auslösen. Gibt es von diesem
Gesichtspunkt aus etwas Schöneres, als einen klassi»
zistischen Kerzenträger mit seinen edlen einfachen For»
men, eine dorische Säule, ein romanisches Glasgemälde,
einekarolingische Buchillustration, eine gothische Holz»
plastik, einen Palazzo der Renaissance mit seinen vor»
nehmen, strengen Formen. Das Kunstgewerbe ver-
mittelt uns die Gebrauchsbegriffe des täglichen Lebens.
Wenn es sich dabei über das rein Praktische erhebt, so
kann es nur so sein, wie der Grieche aus einem Baum»
stamm die dorische Säule, aus dem druchauffangenden
Mittelstück zwischen Schaft und Giebel das Kapitell
geschaffen hat. Es ist also nur die dekorative Gestal»
tung, die ästhetische Unterstützung des Praktischen,
was sich im Kunsthandwerk betätigt: der dekorative
Stil, die dekorative Technik.

An Beispielen werden wir es immer wieder zeigen
und weisen zunächst auf die gestickten Bilder von Eis»
beth Altheimer hin. In diesen Bildern sind zwei vonein»
ander sehr verschiedene Elemente und formale Motive
kombiniert: die Stickerei, die das Zeichnerische mit den
regelmäßigen Formen, als die charakteristischen Merk»
male des Logikers zur Grundlage hat und das Maler»
ische, das mit seinen Tausenden von Zwischenstufen,
Verbindungen, Stimmungen, Tönen jeder formalen
Ebenmäßigkeit zu spotten scheint. Elsbeth Altheimer
ist eine Tochter des verstorbenen Kunstmalers Prof.
Joseph Altheimer und Schülerin der Professoren Nie»
meyer und Engels, ist also auch psychologisch und
schultechnisch auf die Kombination des Zeichnerischen
und Malerischen, also auf eine Vereinigung zweier
scheinbarer Gegensätze gekommen. Durch die Technik
der Stickerei war sie gezwungen in der Komposition,
wie in der Ausführung der Einzelheit dem Flächigen,
den klareren Formen ungeschnörkelterLinien den Vor»
zug zu geben, den Farben (ähnlich, wie es die Technik

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