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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 74.1924

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H.: Sebastian Osterrieder: zu seinem 60. Geburtstag
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https://doi.org/10.11588/diglit.8625#0010
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Rümann an der Akademie der bildenden Künste ein*
zutreten, der er von 1889—1896 angehörte. Die
persönliche Begabung und vielleicht mehr noch die
Zwangslage sich, ehe er sich einem geregelten Lehr»
und Werkstattbetrieb unterziehen konnte, auf eigene
Faust ohne besondere Anleitung mit dem Schnitz-
messer zu üben, wahrten ihm seine ursprüngliche
Eigenart, die sich am deutlichsten in jenen Arbeiten
ausspricht, die vor allem seinen Ruf begründeten, in
seinen Krippenfiguren. An ihnen hatte sich zuerst der
kaum Zehnjährige versucht und die alte Sehnsucht
und der fromme Kinderglaube blieben dem reifen
Manne und Künstler unversehrt durchs ganze Leben.

Zwar war in Süddeutschland die Krippenkunst nie
ganz eingeschlafen, aber unter den Erlassen der Auf-
klärung von 1803 und 1804, die die Aufstellung von
Krippen in den Kirchen Bayerns untersagte, war sie
zu ödem Dilettantismus entartet. Da bedeuteten Oster»
rieders Anfänge zur Hebung der Krippenkunst, die
schon geraume Zeit vor der Sammeltätigkeit Korn»
merzienrat Max Schmederers, des Stifters der Krippen»
Sammlung des Bayerischen Nationalmuseums, ein-
setzten, eine wirkliche künstlerische Tat, die berechtigt,
ihn als den eigentlichen Wiedererwecker der deutschen
Krippe zu betrachten.

Osterrieders Krippen haben mit den älteren Krippen»
Schöpfungen trotz mancher Anregungen von solchen
her nur wenig gemein. Sie stellen eine Vereinigung
deutscher und italienischer Anschauung dar, nicht un-
ähnlich jener in den Werken der süddeutschen Barock»
künstler. Nicht die ausgesprochen italienische Tempel»
ruine mit klassischen oder Renaissancereminiszenzen
gibt er uns, sondern jenes anmutige, malerische Kon»
glomerat von zerbröckelnder Mauer, halbverfallenen
Bogen, ausgewaschenem Fach» und Flickwerk und
zerschlissenem Strohdach, Architekturen im Sinne
Rogiers, Memlings oder Dürers. In seinen Figuren
hat sich Osterrieder, nachdem er sie ursprünglich
schnitzte, die Technik der feinsinnigen Silizianer
Krippenkünstler insoferne zu eigen gemacht, als er
jede Figur erst vollständig als Akt modelliert, bezw.
aus der Form in haltbarer Masse herstellt, dann die
Gewänder aus leimgetränkten Stoffen darüber ka-
schiert, anordnet und bemalt. Das gestattet bei aller
ursprünglichen Gleichheit des Modells doch eine reiche
Abwandlung und Verwandlungsmöglichkeit. Vor
allem wichtig erscheint Osterrieder die Stellung und

Haltung der Figur, die Pose die sich jeder einzelnen
Gestalt in richtiger Erkenntnis ihres Wesens und
Innenlebens anzupassen sucht. Gerade hierin erscheint
Osterrieder ein echter Nachkomme jener bayerischen
Barodckünstler, in deren Schöpfungen sich plastische
und malerische Erscheinung zu lebendiger Illusions»
Wirkung zusammenschloß.

Aus Liebe zu seinem Thema hat Osterrieder mehr»
fach Reisen nach dem Heiligen Lande unternommen,
um bei seinen sogenannten historischen Krippen nach
Möglichkeit der landschaftlichen Szenerie der einzelnen
Ereignisse gerecht zu werden und er suchte diese
Landschaften der heiligen Stätten mit charakteristischen
Typen an Hirten, Bettlern, Wasserträgern und Kamel»
treibern zu beleben. Vor allem entstand dabei eine
Reihe prächtiger Kamelgruppen, die in den Bildern der
Dreikönigslegende wie Ausschnitte aus venetianischen
Gemälden etwa Tiepolos anmuten. Aus diesen von
ethnographischer Akribie zeugenden Studien hat
übrigens auch das Deutsche Museum Nutzen zu
ziehen gewußt, indem es dem kundigen Meister eine
Anzahl von instruktiven Dioramen in Auftrag gab.

Was Osterrieders Krippendarstellungen vor allem
aber auszeichnet und sie so anziehend gestaltet, ist
die tiefe Innerlichkeit, mit der er seinem Thema nahe»
tritt und die fast kindliche Liebe, mit der er sich in
alles Einzelne versenkt.

Darin liegt nicht zum wenigsten auch der Erfolg
begründet, der seinen Schöpfungen beschieden war,
denn heute finden sich Krippen von Osterrieders Hand
über alle fünf Weltteile verbreitet. Dies und die Ge»
wißheit, mit seiner stimmungsvollen, liebenswürdigen
Kunst Tausende und Abertausende alljährlich immer
wieder aufs neue zu erfreuen, möge Osterrieder sich
leichter mit dem Gedanken abfinden lassen, daß es
ihm, namentlich unter den widrigen Verhältnissen
des letzten Jahrzehnts, leider nur selten vergönnt ge»
wesen war, großplastische Werke auszuführen, wie
etwa die monumentale Kreuzigungsgruppe an der
Wallfahrtskirche zum Heiligen Kreuz in Biberach.
Das Bewußtsein aber mit seinen stimmungsvollen
Schöpfungen reinste Freude in zahllose Herzen und
gläubige Seelen gesenkt zu haben, möge Meister
Osterrieder die höchste Befriedigung gewähren und
wie ein tausendfältiger Glüd^wunsch zu seinem Jubi»
läum anmuten. h.

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