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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 78.1928

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Moser, Ludwig: Historisches Kunstgewerbe und modernes Kunstbewußtsein
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https://doi.org/10.11588/diglit.7095#0123
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dankt er dem Zeitalter, das ihn geprägt hat:
fie gilt der Gruppe der zweitklaffigen, weil
Zweckgebundenen Kunftwerke. Von
e'ner Hierarchie der Zwecke weiß diefe
Nebenbedeutung nichts.

Dennoch liegt hier des Rätfels Löfung. Es
lft ein vollkommen anderer Fall, wenn ein
mittelalterlicher oder gar japanifcherWaffen-
khmied dem Schwert eines Edlen, von dem
ftir diefen Leben oder Tod abhängen kann
Ur>d das, wie wir wiffen, gleichfam in ein
^agifch-kameradfchaftliches Verhältnis zu
feinem Träger tritt, die erhabenfte Knappheit
Ur>d Größe der Form fchenkt und wenn ein
beliebiger helleniftifcher Sklave ein Gefäß
ftit das Boudoir eines Dämchens mit ein paar
^dekorativen« Schnörkeln bepinfelt. Es ift
^türlich eine ganz verfchieden zu beurtei-
lende Sache, wenn ich das Blatt eines kufilch
gefchriebenen Korans und wenn ich eine Zi-
garettenverpackung vor mir habe. Nicht die
*^edinik, nur das Ethos des Werkes entschei-
det feinen Wert. Und es ift durchaus vertret-
bar, wenn für einen der Anblick von Vene-
digs Pala d'oro oder des Basler Antependi-
Urr>s - deffen Verkauf nicht wenig an der an-
^dernokratifchen Haltung eines Jacob Burck-
^ardt fchuld war — den eines hervorragenden
^ffael oder Rembrandt aufwiegt.

Wir find nun bei dem Punkte, zu welchem
VVlr gelangen wollten. Sowie die Frage des
Werturteiles auftaucht, tritt nämlich das hi-
0|*ifche Prinzip des Mufeums in feine Rechte,
^nd es erweift fich, daß Goethes Wort, Ge-
wehte habe nur Sinn, wo Tie den Enthufias-
|^Us wecke, eine halbe Wahrheit ift. Wenn
^gendwo, fo lernt man vor den Dingen in
en Mufeen ihre Werte gerecht vergleichen
|*nd beurteilen, lernt es, vom bloßen Aktua-
'tatseffekt Abftand nehmen. Gewiß, auch

diefer hat feine Berechtigung. Was er aber
anrichten kann, das fehen wir etwa, wenn
wir das Kunftgewerbe der deutfchen Renaif-
fance mit feinen Nachahmungen aus den acht-
ziger Jahren einmal in eine Reihe ftellen.
Oder wenn wir dasfelbe mit Erzeugniffen des
erften und zweiten Rokoko tun. Und felbft
hier, welch ein Unterfchied Zwilchen dem
Wiener und Parifer und etwa dem Karlsruher
Erzeugnis! Wir dürfen alfo mit Recht fagen,
daß das hiftorilche und auch das regionale
Sammlungsprinzip der Mufeen (letzteres
befonders klar ausgeprägt in den Mufeen für
Völkerkunde) für die Erziehung des Kunft-
urteils von größter Bedeutung ift. Die un-
mittelbare Anregung des fchaffenden Künft-
lers ift ein Anderes; Tie wird bei beftimmten
Epochen nicht ohne weiteres eintreten. Das
Werk des Lebenden aber gehört zu aller-
nächft in den Gebrauch der Zeitgenoffen, und
die Einftellung des Mufeums auf Aktualität
kann als Grenzfall wertvoll fein, als Maffen-
erfcheinung ift fie bedenklich!

Daß mit diefem Worte nicht eine Ichema-
tifche Beziehungslofigkeit zur Gegenwart
auch nur im geringften verteidigt werden
foll, darüber dürfte nach dem Vorangegan-
genen kein Zweifel herrfchen. Vielmehr liegt
das Problem anders. Die Bedeutung eines
Kunftwerkes für den lebendig Empfindenden
hängt nämlich in keiner Weife von der hi-
ftorifchen Entfernung ab, und der Gegen-
wartswert etwa eines Bildteppichs aus dem
12. Jahrhundert wie feine formerzieherilche
Bedeutung kann wefentlich die der Werke
eines Mannes überfteigen, der täglich mit
uns dasfelbe Pflafter tritt. Das Maß der
»Gegenwärtigkeit« eines Werkes ift einzig
feine Leiftungshöhe, und »hiftorilch« werden
wir Menfchen nur, weil wirkeine Götter find.

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