Männer der Wissenschaft, Philosophie und Dichtkunst ähnlich weiträumig und
zeitentbunden, ähnlich weitherzig gewesen wie die Buchdrucker.
Am Sand in Lüneburg steht noch heute, ganz nah der Kirche von
St. Johannis mit ihrem riesigen grünlich schimmernden Helm, das Haus
einer der ältesten, hochangesehenen deutschen Druckereien. 1625 erhalten
die Gebrüder Stern, Johann und Hans, ein „Spezialprivilegium" vom
Herzog von Braunschweig-Lüneburg zum freien, gegen Nachdruck geschütz-
ten Betrieb einer Druckerei nebst Verlag. Sie werden wenig später vom
Kaiser Ferdinand HI. in den erblichen Adelsstand erhoben.
In dem vorwiegend theologischen Verlag läßt auch Johann Rist,
Pfarrherr zu Wedel, „Holsteins größter Poet", „Himmlische Lieder", An-
dachtsbücher u. a. m. erscheinen. An weltlichen Werken Rists erscheint bei
Stern 1655 ein einaktiges Buchdruck erspiel. Die Buchdrucker in
Lüneburg haben, auch als ihrer schon mehr wurden, kein Amt gebildet.
Einen Stand, Berufsstand aber bildeten sie doch. Gelegentlich der „Depo-
nierung" eines Lehrlings zum Gesellen dichtet also Rist auf Bitten seiner
Freunde und Verleger das kleine Spiel. Genauer: Er gibt eines andern
Verfassers „schlechtem Spiel", „nur von gemeinen Pritschreimen zusam-
mengesetzt", eine edlere Gestalt. In der von Rist benutzten Vorlage stan-
den noch im Mittelpunkt der Gesellenweihe, wie von altersher der Brauch,
die Beichte und die Taufe.
Rists Vorgänger hält es noch unbefangen mit dem alten Brauch: „Der
Pfaffe gießt dem Pathenkind ein Glas Wasser auf den Kopf:
So tauff ich dich im Namen hie
Veneris, Ckrerck, Laeebi,
?er poeula poeuloruw.
Nun ist es fast oon8uinmatum —
worauf der das Becken Haltende nichts Eiligeres zu thun hat, als dem Täufling
den ganzen übrigen nassen Inhalt ins Gesicht zu schütten:
Der Pfaff hat noch vergessen was,
Ich muß jhn tauffen desto baß."
Der Pfarrherr Rist kann freilich solch frevelhaftes Spiel mit dem
Heiligen nicht dulden. Er ersetzt den Pfaffen und die Paten durch Lehr-
meister und Zeugen.
— Worum dreht sich das Ganze? Was meint der gelehrte lateinische
Haupttitel des Merkchens: vepO8itio cornuti? Wörtlich heißt das: die
Enthornung des Gehörnten! Es geht hier, wie überhaupt bei den ent-
wickelteren Gesellenweihen, um folgendes: Der ausgediente Lehr-
ling hat zunächst zur Lust der Zuschauer eine Reihe althergebrachter
„Manipulationen und Vexationen" über sich ergehen zu lassen. Erst nach-
dem er diese Prüfungen überstanden hat, ist er würdig, aus dem Stand
der Natur in den der „Gnade" zu treten: So wäre es ausgedrückt in An-
lehnung an den hier gemeinhin nur spottweise („travestierend") nach-
geahmten christlichen Taufakt. Aber warum hat dabei der Weihekandidat
notwendig gehörnt und wild vermummt aufzutreten? Nun, noch bis vor
kurzem, als an unfern hohen Schulen noch das Verbindungswesen in
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zeitentbunden, ähnlich weitherzig gewesen wie die Buchdrucker.
Am Sand in Lüneburg steht noch heute, ganz nah der Kirche von
St. Johannis mit ihrem riesigen grünlich schimmernden Helm, das Haus
einer der ältesten, hochangesehenen deutschen Druckereien. 1625 erhalten
die Gebrüder Stern, Johann und Hans, ein „Spezialprivilegium" vom
Herzog von Braunschweig-Lüneburg zum freien, gegen Nachdruck geschütz-
ten Betrieb einer Druckerei nebst Verlag. Sie werden wenig später vom
Kaiser Ferdinand HI. in den erblichen Adelsstand erhoben.
In dem vorwiegend theologischen Verlag läßt auch Johann Rist,
Pfarrherr zu Wedel, „Holsteins größter Poet", „Himmlische Lieder", An-
dachtsbücher u. a. m. erscheinen. An weltlichen Werken Rists erscheint bei
Stern 1655 ein einaktiges Buchdruck erspiel. Die Buchdrucker in
Lüneburg haben, auch als ihrer schon mehr wurden, kein Amt gebildet.
Einen Stand, Berufsstand aber bildeten sie doch. Gelegentlich der „Depo-
nierung" eines Lehrlings zum Gesellen dichtet also Rist auf Bitten seiner
Freunde und Verleger das kleine Spiel. Genauer: Er gibt eines andern
Verfassers „schlechtem Spiel", „nur von gemeinen Pritschreimen zusam-
mengesetzt", eine edlere Gestalt. In der von Rist benutzten Vorlage stan-
den noch im Mittelpunkt der Gesellenweihe, wie von altersher der Brauch,
die Beichte und die Taufe.
Rists Vorgänger hält es noch unbefangen mit dem alten Brauch: „Der
Pfaffe gießt dem Pathenkind ein Glas Wasser auf den Kopf:
So tauff ich dich im Namen hie
Veneris, Ckrerck, Laeebi,
?er poeula poeuloruw.
Nun ist es fast oon8uinmatum —
worauf der das Becken Haltende nichts Eiligeres zu thun hat, als dem Täufling
den ganzen übrigen nassen Inhalt ins Gesicht zu schütten:
Der Pfaff hat noch vergessen was,
Ich muß jhn tauffen desto baß."
Der Pfarrherr Rist kann freilich solch frevelhaftes Spiel mit dem
Heiligen nicht dulden. Er ersetzt den Pfaffen und die Paten durch Lehr-
meister und Zeugen.
— Worum dreht sich das Ganze? Was meint der gelehrte lateinische
Haupttitel des Merkchens: vepO8itio cornuti? Wörtlich heißt das: die
Enthornung des Gehörnten! Es geht hier, wie überhaupt bei den ent-
wickelteren Gesellenweihen, um folgendes: Der ausgediente Lehr-
ling hat zunächst zur Lust der Zuschauer eine Reihe althergebrachter
„Manipulationen und Vexationen" über sich ergehen zu lassen. Erst nach-
dem er diese Prüfungen überstanden hat, ist er würdig, aus dem Stand
der Natur in den der „Gnade" zu treten: So wäre es ausgedrückt in An-
lehnung an den hier gemeinhin nur spottweise („travestierend") nach-
geahmten christlichen Taufakt. Aber warum hat dabei der Weihekandidat
notwendig gehörnt und wild vermummt aufzutreten? Nun, noch bis vor
kurzem, als an unfern hohen Schulen noch das Verbindungswesen in
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