Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunde — N.F.10.1959

DOI issue:
Heft 1-2
DOI article:
Scholand, Anton: Studienfahrt des Niedersächsischen Landesvereins vom 6.-27. Mai in die Bretagne
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.71587#0185

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
konnten. Westlich von Amiens wurde die Landschaft bergig, und nach ein-
stündiger Fahrt erreichten wir die Normandie. Ackerfluren traten mehr in den
Hintergrund; in den Tälern und an den Abhängen breiteten sich mit Busch-
hecken umgebene Weiden und Obstplantagen aus. Man glaubte sich in einen
riesigen Park versetzt. Unser Tagesziel war Rouen, die Seine-Hafenstadt. Sie
war lange Zeit hindurch eine der schönsten der Welt. Die Voraussetzung für
ihre Entwicklung hatte der Normannenfürst Rolf geschaffen, der 911 vom
französischen König als Herzog Rolf I. mit der Normandie belehnt wurde. Im
Hunderjährigen Krieg zwischen England und Frankreich fiel 1419 Rouen auf
dreißig Jahre in die Hände der Engländer. Damals geschah es, daß Jeanne
d'Arc den Engländern ausgeliefert und am 30. Mai 1431 auf dem Marktplatz
in Rouen verbrannt wurde.
18. Mai: Auf der großen Fernstraße Paris—Cherbourg ging es über Lisieux
nach Caen, der einstigen Residenzstadt der Normannenherzöge. Hier erinnern
verschiedene Baudenkmäler an Wilhelm den Eroberer, der von hier aus im
Jahre 1066 die Eroberung Englands durchführte. Dieses Ereignis wurde auf
dem Teppich von Bayeux, der anschließend in der alten Bischofsstadt besich-
tigt wurde, allen Teilnehmern sinnfällig klar (73 m lang, 70 cm hoch). An der
Herstellung hat auch Mathilde, die Gemahlin Wilhelms, wesentlichen Anteil
gehabt. In 58 gestickten Bildern hat Mathilde die Eroberung Englands ver-
anschaulicht. Dr. W. Rosin gab an Hand der Bilder — einem einmaligen
Musterbuch Wikingischen Lebens vor fast 1000 Jahren — einen Überblick
über die einzelnen Phasen, die sich bei der Eroberung Englands abgespielt
haben. Spät am Abend trafen wir auf dem Mont St. Michel bei Avranches ein.
19. Mai: Nach Besuch des berühmten Baudenkmals und einem unvergeß-
lichen Ausblick von der Abteikirche, die über einem prähistorischen Höhen-
heiligtum erbaut wurde, auf das Meer, das den Berg umbrandet und das sich
hier bei Ebbe nahezu 30 km von der Küste zurückzieht, nahmen wir Ab-
schied. Wir fuhren über den kleinen Fluß Couesnon, der die Normandie von
der Bretagne trennt, und in Dol erwartete uns Dr. Giot aus Rennes, der uns
fortan vier Tage begleitete. Er führte uns an ein Denkmal ganz in der Nähe
von Dol. Es ist der 9 m hohe Menhir du Champ Dolent, ein neolitischer Stein-
koloß mit ehemals kultischer Bedeutung. Weiter ging es über Dinan in die
Bretagne hinein. Der Regen, der seit dem vorhergehenden Abend mit nur
geringen Unterbrechungen herniedergegangen war, ließ nach. Es wurde mög-
lich, die Landschaft mit ihrer Schönheit und ihren vielen Eigenheiten besser
zu erfassen. Ganz anders ist sie, als die der Picardie und Normandie. Eine
typische Note verleiht ihr das oft von vielen Tälern mit größeren Siedlungen
durchbrochene Bergland. Es erschienen in der Landschaft meterhohe Wälle
mit Buschwerk, die die oft starken Seestürme abmildern. Wir begegneten
südländischen Gewächsen, wie Zypressen, Palmen, Tamarisken, Feigenbäumen,
Bambus- und Kallastauden. Vielerorts wuchs der stachelige Ginster so zahl-
reich, daß manche Fluren in ein Meer von gelben Blüten getaucht waren.
— Nach kurzer Zeit grüßte uns wieder das Meer, an dessen Küste es
nun längere Zeit nach Nordwesten ging. Erst bei Paimpol, wo man un-
willkürlich an Pierre Loti und seinen Roman „Islandfischer" erinnert wurde,
dessen Handlung in dieser Gegend spielt, ging es westwärts auf Treguier
(Stadt des heiligen Yves, des Schutzheiligen der Bretagne) zu. Nach der
Abfahrt von Treguier wurden drei urgeschichtliche Denkmäler aufgesucht.
Zuerst kamen wir an eine Steinkammer in Verbindung mit einer Stele,
in einem etwa meterhohen Erdwall. Einer der Tragsteine ist im Innern

159
 
Annotationen