Nr. 75»
K u n st - B l a t t.
Donnerstag, d e n i8. Septem b e x 1323.
Ueber die Bildharierey in Rom.
(Beschluß.)
Wenn das Ideal aus der innigen Vereinigung der
Idee mit der schönen Form hervorgeht, und durch die Tiefe
des Sinns sich ausspricht, wenn die Schönheit, durch inwoh-
nende Symbolik beseelt, zum Ideale sich veredelt, so müssen
wir Lhorwaldsen den Borzug einraumen.
Bey Canvva ist diese Bereinigung nicht so strenge;
Schönheit, Natur an sich, der erste, einzige Zweck, äußerste
Weichheit, blendende Glanzmittel. Da nach diesem Prin-
zip die Idee nicht vorherrschend ist, so bleibt es ihm deß-
ivegen möglich, die Bedeutung festgesezrcr Formen durch
Attribute zu verändern, seinen Statuen durch Verwechs-
lung deö KopfeS eine andere, als die ursprüngliche Be-
deutung zu geben, eine Porträtstatue auf diese Weise in
ein symbolisches Standbild verwandeln zu wollen. Napo-
leons Schwester in eine Muse, die französische Kaiserin
in eine Cibele ü. s. w.
Ben Lhorwaldsen, wo sich die innere Bedeutung,
die symbolische Kraft in jedem Gliede äusspricht, wo alle .
Theile in der vollkommensten Uebereinstimmung sind, iväre
dich nicht möglich, ohne einen zerstörenden Contrast. Jedes
seiner Bilder hat einen bestimmten, individuellen Ausdruck
in Gesicht, Körperbau und Gliedern, da man bey Canvva
durchaus eine gewisse Familien-Aehnlichkeit wahrnimmt,
welche es ihm möglich macht, Aenderungen oben ange-
führter Art vorzunehmen, unbeschadet der Wesenheit seiner
Kunst.
Da das Wesen der Kunst Thorwaldscn's auf einfache
und wahre Grundsätze der Plastik gegründet 'ist, so wird
seine Schule, nach dem größer» oder geringer» Antheil
vom Genie der Schüler, immer lobenswertste Werke Her-
vorbringen und selbst das weniger Vortreffliche durch die
ausgesprochene Norm nicht verwerflich erscheinen. Da hin-
gegen Canvva'S Nachahmer auf Abwege gerathen, oder in
unsichere Manier und Musartung gerathen müssen, weil
der Vorzug , der Charakter seiner Kunst, in seiner indivi-
duellen Eigenthümlichkcit besteht, die nicht abgelernt und
überivagen werden kann, deren höchster Reiz gerade in
dieser Eigenschaft besteht, oder es muß der Schüler einen
andern Weg einfchlagen. Daher löst sich die Manier die-
ser Schule bey den lezten seiner Schüler, auf denen der
Geist des großen Meisters' nicht ruht, in ein vollkomme-
nes Nichts aus.
In .Nom selbst bietet sich dem Beobachter mehr als
ein Vergleichungspunkc zwischen den Heyden großen Mei-
stern dar. ■ Lhorwaldsen schmückt mit den Werken seiner
Kunst eine Kirche in Kopenhagen. Ein Christus von
i8)Palmen Höhe wird die Mittel-, oder Hanptnische ein-
nehmen, kleinere Seitennischen die Apostel, sechs auf je-
der Seite. Im Fronten des Gebäudes steht sehr schicklich
der Vorläufer Christi, Johannes der Täufer, dem horchen-
den Volke am Berge predigend. Diese Figuren sind le-
bensgroß, alle Geschlechter und Lebensalter in mannich-
faltigen Gruppirungcn.
Canvva arbeitete gleicherweise für die Ausschmückung
seiner selbstgebauten Kirche inj Possagno, seinem Geburts-
orte. Eine schmerzenreiche Mutter mit dem tobten Chri-
stus im Schovße, eine knieende Magdalena neben, das
Kreuz hinter ihr, sollte die Hauptgruppe werden, allein
der Tod unterbrach die Ausführung, nur einige Basreliefs
aus dem alten Testament wurden vollendet."
Eine »och nähere Vergleichung gewähren die Ritter-
statuen der neapolitanischen Könige mit der des Fürsten
Poniatowskv, die Grazien, die Venus, Amor und Psyche,
Ganymed und Hebe, mehrere Porträtstatuen undiSepul-
kralmonumente, welche von beyden Künstlern ausgeführt,
den eigenthümlichen Geist eines Jeden anssprechen.
Ich werde die Namen der gegenwärtig in Rom be-
findlichen Bildhauer, nebst der Anzeige ihrer vorzüglich-
sten Werke und der Schule, zu der sie gehören, anführen,
um in der Folge ihre neuesten Arbeiten, so wie sie enr-
stehen, anznzeigen.
Ten eran i. Thorwaldsens vorzüglichster Schüler,
bat eine liegende Venns mit einem Amor, der ilw einen
Dernaus dem Fuße zieht, ein? sitzende Psyche, einen Chri-
stus am Kreuze, der nachher in Silber gegossen zu sehen
war, von eigener Erfindung anügeführt, so wie einen ntn-
gcn stehenden Fan», der die Flöte bläSt.
K u n st - B l a t t.
Donnerstag, d e n i8. Septem b e x 1323.
Ueber die Bildharierey in Rom.
(Beschluß.)
Wenn das Ideal aus der innigen Vereinigung der
Idee mit der schönen Form hervorgeht, und durch die Tiefe
des Sinns sich ausspricht, wenn die Schönheit, durch inwoh-
nende Symbolik beseelt, zum Ideale sich veredelt, so müssen
wir Lhorwaldsen den Borzug einraumen.
Bey Canvva ist diese Bereinigung nicht so strenge;
Schönheit, Natur an sich, der erste, einzige Zweck, äußerste
Weichheit, blendende Glanzmittel. Da nach diesem Prin-
zip die Idee nicht vorherrschend ist, so bleibt es ihm deß-
ivegen möglich, die Bedeutung festgesezrcr Formen durch
Attribute zu verändern, seinen Statuen durch Verwechs-
lung deö KopfeS eine andere, als die ursprüngliche Be-
deutung zu geben, eine Porträtstatue auf diese Weise in
ein symbolisches Standbild verwandeln zu wollen. Napo-
leons Schwester in eine Muse, die französische Kaiserin
in eine Cibele ü. s. w.
Ben Lhorwaldsen, wo sich die innere Bedeutung,
die symbolische Kraft in jedem Gliede äusspricht, wo alle .
Theile in der vollkommensten Uebereinstimmung sind, iväre
dich nicht möglich, ohne einen zerstörenden Contrast. Jedes
seiner Bilder hat einen bestimmten, individuellen Ausdruck
in Gesicht, Körperbau und Gliedern, da man bey Canvva
durchaus eine gewisse Familien-Aehnlichkeit wahrnimmt,
welche es ihm möglich macht, Aenderungen oben ange-
führter Art vorzunehmen, unbeschadet der Wesenheit seiner
Kunst.
Da das Wesen der Kunst Thorwaldscn's auf einfache
und wahre Grundsätze der Plastik gegründet 'ist, so wird
seine Schule, nach dem größer» oder geringer» Antheil
vom Genie der Schüler, immer lobenswertste Werke Her-
vorbringen und selbst das weniger Vortreffliche durch die
ausgesprochene Norm nicht verwerflich erscheinen. Da hin-
gegen Canvva'S Nachahmer auf Abwege gerathen, oder in
unsichere Manier und Musartung gerathen müssen, weil
der Vorzug , der Charakter seiner Kunst, in seiner indivi-
duellen Eigenthümlichkcit besteht, die nicht abgelernt und
überivagen werden kann, deren höchster Reiz gerade in
dieser Eigenschaft besteht, oder es muß der Schüler einen
andern Weg einfchlagen. Daher löst sich die Manier die-
ser Schule bey den lezten seiner Schüler, auf denen der
Geist des großen Meisters' nicht ruht, in ein vollkomme-
nes Nichts aus.
In .Nom selbst bietet sich dem Beobachter mehr als
ein Vergleichungspunkc zwischen den Heyden großen Mei-
stern dar. ■ Lhorwaldsen schmückt mit den Werken seiner
Kunst eine Kirche in Kopenhagen. Ein Christus von
i8)Palmen Höhe wird die Mittel-, oder Hanptnische ein-
nehmen, kleinere Seitennischen die Apostel, sechs auf je-
der Seite. Im Fronten des Gebäudes steht sehr schicklich
der Vorläufer Christi, Johannes der Täufer, dem horchen-
den Volke am Berge predigend. Diese Figuren sind le-
bensgroß, alle Geschlechter und Lebensalter in mannich-
faltigen Gruppirungcn.
Canvva arbeitete gleicherweise für die Ausschmückung
seiner selbstgebauten Kirche inj Possagno, seinem Geburts-
orte. Eine schmerzenreiche Mutter mit dem tobten Chri-
stus im Schovße, eine knieende Magdalena neben, das
Kreuz hinter ihr, sollte die Hauptgruppe werden, allein
der Tod unterbrach die Ausführung, nur einige Basreliefs
aus dem alten Testament wurden vollendet."
Eine »och nähere Vergleichung gewähren die Ritter-
statuen der neapolitanischen Könige mit der des Fürsten
Poniatowskv, die Grazien, die Venus, Amor und Psyche,
Ganymed und Hebe, mehrere Porträtstatuen undiSepul-
kralmonumente, welche von beyden Künstlern ausgeführt,
den eigenthümlichen Geist eines Jeden anssprechen.
Ich werde die Namen der gegenwärtig in Rom be-
findlichen Bildhauer, nebst der Anzeige ihrer vorzüglich-
sten Werke und der Schule, zu der sie gehören, anführen,
um in der Folge ihre neuesten Arbeiten, so wie sie enr-
stehen, anznzeigen.
Ten eran i. Thorwaldsens vorzüglichster Schüler,
bat eine liegende Venns mit einem Amor, der ilw einen
Dernaus dem Fuße zieht, ein? sitzende Psyche, einen Chri-
stus am Kreuze, der nachher in Silber gegossen zu sehen
war, von eigener Erfindung anügeführt, so wie einen ntn-
gcn stehenden Fan», der die Flöte bläSt.