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Forschungen
ihren noch unwirklichen, lattenhaften
Baugliedern einerseits, ihrem starken
Sinn für Perspektive andererseits durch-
aus dem beginnenden 15. Jahrhundert
entspricht. Gewiß hat der Künstler
hierbei an die projektierte Komposition
gedacht, aber die fünf Figuren sind nur
Einzelstudien zu dieser, ohne unmittel-
bar mit der Architektur zusammen-
zuhängen. Die drei oberen sind Varia-
tionen für den linken, die beiden unteren
für d en rechten Henkersknecht. Dieses
Abb.'l. Ghiberti, Studien z. einer Geißelung
Christi. Federzeichnung. Wien, Albertina
isolierte Durchstudieren der Figuren, die
sichtbare Freude an den verschiedenen
Stellungs- und Bewegungsmotiven ließen
auf einen Bildhauer schließen. Während
die beiden unteren Figuren mehr den her-
kömmlichen Typus zeigen, sind die Be-
wegungsmotive der oberen viel kompli-
zierter; der sichtlich mit besonderer
Liebe durchstudierte mittlere Lösungs-
versuch ist stark von der Antike beein-
flußt. Während alle anderen Varianten
mehr in der Fläche bleiben, ist hier die
dem Thema entsprechende ausholende
Bewegung des Zuschlagens mit der anti-
ken Auffassung einer Statue mit deut-
lich gesondertem Stand- und Spielbein
vorzüglich verbunden. Man könnte sich
ohne weiteres die Figur auch als Voll-
plastik vorstellen. Diese Auffassung ist
so vorgeschritten gegenüber der kon-
ventionellen Bildung der Henkersknechte
bei dieser Szene im 14. und Anfang des
15. Jahrhunderts, daß nur ein bedeuten-
der Bildhauer in einem Zentrum der pla-
stischen Kunst dafür in Frage kommt.
In der Tat findet sich die Figur auf der
zweiten Tür des Baptisteriums in Flo-
renz, der ersten, die Ghiberti ausgeführt
hat (Abb. 2). Zeichnung und Plastik
Abb. 2. Geißelung Christi. Nördl. Tür des
Baptisteriums, Florenz
sind fast identisch, die schließliche Aus-
führung ist nur noch etwas konzentrier-
ter gegenüber dem ersten Entwurf.
Schon dieses Verhältnis würde meiner
Ansicht nach die Urheberschaft Ghiber-
tis für unsere Zeichnung sicher beweisen.
Es finden sich aber noch andere Stützen.
Das Mitschwingen des linken Armes, das
der ganzen Bewegung eine so großartige
Intensität verleibt, hat der Künstler
mehr aus Freude an dem gefundenen
glücklichen Motiv als aus eigentlicher
Notwendigkeit auf der Anbetung der
Könige beim Christkind an derselben
Tür verwendet. Der Christus in der
Vertreibung der Wechsler hat, wiewohl
Forschungen
ihren noch unwirklichen, lattenhaften
Baugliedern einerseits, ihrem starken
Sinn für Perspektive andererseits durch-
aus dem beginnenden 15. Jahrhundert
entspricht. Gewiß hat der Künstler
hierbei an die projektierte Komposition
gedacht, aber die fünf Figuren sind nur
Einzelstudien zu dieser, ohne unmittel-
bar mit der Architektur zusammen-
zuhängen. Die drei oberen sind Varia-
tionen für den linken, die beiden unteren
für d en rechten Henkersknecht. Dieses
Abb.'l. Ghiberti, Studien z. einer Geißelung
Christi. Federzeichnung. Wien, Albertina
isolierte Durchstudieren der Figuren, die
sichtbare Freude an den verschiedenen
Stellungs- und Bewegungsmotiven ließen
auf einen Bildhauer schließen. Während
die beiden unteren Figuren mehr den her-
kömmlichen Typus zeigen, sind die Be-
wegungsmotive der oberen viel kompli-
zierter; der sichtlich mit besonderer
Liebe durchstudierte mittlere Lösungs-
versuch ist stark von der Antike beein-
flußt. Während alle anderen Varianten
mehr in der Fläche bleiben, ist hier die
dem Thema entsprechende ausholende
Bewegung des Zuschlagens mit der anti-
ken Auffassung einer Statue mit deut-
lich gesondertem Stand- und Spielbein
vorzüglich verbunden. Man könnte sich
ohne weiteres die Figur auch als Voll-
plastik vorstellen. Diese Auffassung ist
so vorgeschritten gegenüber der kon-
ventionellen Bildung der Henkersknechte
bei dieser Szene im 14. und Anfang des
15. Jahrhunderts, daß nur ein bedeuten-
der Bildhauer in einem Zentrum der pla-
stischen Kunst dafür in Frage kommt.
In der Tat findet sich die Figur auf der
zweiten Tür des Baptisteriums in Flo-
renz, der ersten, die Ghiberti ausgeführt
hat (Abb. 2). Zeichnung und Plastik
Abb. 2. Geißelung Christi. Nördl. Tür des
Baptisteriums, Florenz
sind fast identisch, die schließliche Aus-
führung ist nur noch etwas konzentrier-
ter gegenüber dem ersten Entwurf.
Schon dieses Verhältnis würde meiner
Ansicht nach die Urheberschaft Ghiber-
tis für unsere Zeichnung sicher beweisen.
Es finden sich aber noch andere Stützen.
Das Mitschwingen des linken Armes, das
der ganzen Bewegung eine so großartige
Intensität verleibt, hat der Künstler
mehr aus Freude an dem gefundenen
glücklichen Motiv als aus eigentlicher
Notwendigkeit auf der Anbetung der
Könige beim Christkind an derselben
Tür verwendet. Der Christus in der
Vertreibung der Wechsler hat, wiewohl