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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 6.1895

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Buss, Georg: Das Haus des deutschen Reichstages, [2]
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.4566#0125

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106

DAS HAUS DES DEUTSCHEN REICHSTAGES.

zuwendend oder im Profil sichtbar, auf ihren Klappstüh-
len hinter schmalen Pulten in konzentrischer und sich
abstufender Gruppirung zur Rednerbühne die Herren
Reichstagsboten. Und weiter schweift das Auge hin-
auf zu den reich geschmückten Logen, links zu jener des
.Kaisers, rechts zu jener der schreibseligen Großmacht
dieses Jahrhunderts, der Presse, und weiter hinauf zu
der wie ein Velarium ausgebreiteten, mildfarbig mit
Fruchtgewinden bordirten Decke von grauem Glase, an
deren Fläche groß, mächtig und gebietend in strenger
Linearzeichnung und leichter Tonung der deutsche Aar
als wahrer Eiesenvogel prangt. Klares Licht flutet von
oben in den Saal und lässt alle Einzelheiten der Dekora-
tion scharf erkennen. Es ist ein schöner Anblick, schöner
noch als jener, den der gestreckte gotische Saal des eng-
lischen Oberhauses
gewährt, wo der Lord
High Chancellor, das
Haupt mit der Al-
longeperücke be-
deckt, im Schweiße
seines Antlitzes wür-
devoll thront, die
Männer der Opposi-
tion jenen der Regie-
rungspartei feindlich
gegenübersitzen und
„das liebe Himmels-
liclit trüb durch
gemalte Scheiben
bricht."

Der neue Saal
besitzt die Dimen-
sionen des alten; ei-
lst 21,56m tief, 29 m
breit und 13,15 m
hoch. Außer den Plät-
zen für den Präsi-
denten, die Schriftführer, den Redner und die Stenographen
enthält er 48 Plätze für den Bundesrat und dessen Kom-
missare und 400 Plätze für die Mitglieder des Reichstages.
An seiner Nord-, West- und Südseite befinden sich Logen,
zugänglich vom Zwischengeschoss. Die Diplomatenloge
weist 19 und die Kaiserloge 13 Lehnsessel, die Loge
für das Publikum und die Behörden 244 Sitzplätze, jene
für die Presse 81 Sitzplätze, unter ihnen 60 mit Pult,
und die Bundesratsloge 14 Lehnsessel auf. In den be-
vorzugten Logen lassen sich nocli Stühle nach Bedarf
einstellen. Hinter der Kaiserloge liegen ein Salon und
ein Vorzimmer mit glänzender Ausstattung, in der be-
sonders zwei Kamine, der eine in Porte d'or-, der an-
dere in Laaser Marmor, mit reizvoll erfundenen ver-
goldeten Heizgittern auffallen.

Die Ausschmückung des Saales war ursprünglich

reicher geplant, manches ist fortgefallen, aber noch genug
ist geblieben, um den Meister zu ehren. Schlicht und
ruhig sind die unteren, vom Fußboden bis zu den vor-
gekragten Brüstungen der Logen reichenden Wandflächen
behandelt. Zwischen Pilaster sind sie in schmale, mäßig
vortretende Langfelder geteilt. Der Reiz der Holzfläche,
der wesentlich in der Maserung und in der übrigen
Eigenart der Struktur besteht,, gelangt zur vollen Gel-
tung. Gesteigerte Pracht ist in den Thüren und weiter
oben entwickelt; über den originell durchbrochenen Bogen-
brüstungen rauscht sie bestrickend in vollem Accord dahin.

Als Stützen für das Hauptgesims recken sich Kary-
atiden empor, bezaubernd schöne, lebendig bewegte, ge-
radezu siegesbewusste Frauengestalten, die mit ihren

Emblemen auf Han-
del, Industrie, Haus-
fleiß und sonstige
segenspendende Tliii-
tigkeit hinweisen
Antlitz, Hals, Brust
und Arme dieser
Frauen sind in wei-
ßem, emailartig wir-
kendem Fleischton
gehalten, und mit die-
sem paart sich der
lichtbraune Holzton
der Gewandmassen,
sowie der Glanz des
Goldes, das zur Be-
lebung des Ganzen in
dezenter, malerisch
wirkender Vertei-
lunghinzugefügt ist
und besonders reiz-
voll in den llaai-
schmuck und in die
reich ornamentirten,
mit Löwenköpfen besetzten Kartuschen, den Vermittlern
zwischen Pfeilern und Gestalten, hineinspielt. Paarweise,
mit schmalen rechtwinkeligen Öffnungen und mit darüber
befindlichen offenen Kreisen, sind die Stützen mit den
Karyatiden als die bedeutsamsten Glieder der Architektur
angeordnet. Folgerichtig entsprechen ihnen unten in der
Wandbekleidung zwei Pilaster, in der Logenbrüstung zwei
Pfosten mit eingefügter, prächtig geschnitzter Masken-
füllung und oben die gleichfalls ornamental betonte Ver-
kröpfung des Hauptgesimses. Zwischen den Karyatiden-
paaren öft'nen sich breit die Logen unter mäßig flachen
Bogen, deren Scheitel nahe dem llauplgesiins und deren
Stützpunkte auf den Pfeilern hinter den Kartuschen
liegen. An dem Triglyphenfriese des Eauptgesimses
sind 30 farbige Wappen deutscher Städte, und zwar
die der drei freien Reichsstädte über der Kaiserloge,

Cartouche über einer Thür im Vorsaal der Kaiserloge.
Moilellirt von Professor 0. Lessing.


 
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