Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 6.1895

DOI Artikel:
Groth, Ernst: Das Kunstgewerbe als Nährquelle für das Handwerk
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4566#0168

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DAS KUNSTGEWERBE ALS NÄHRQUELLE FÜR DAS HANDWERK.

147

Vignette, gezeichnet von Jüi.iüs Diez, München.

aus. Sie will vorderhand nicht eine Korporation, eine
Interessengemeinschaft schaffen, sondern will den einzelnen
Handwerker für sich allein materiell liehen und kräftigen,
und zwar dadurch, dass sie ihm wieder nutzbringenden
Grund- und Bodenbesitz verschafft, Sie will den Hand-
werker, vor allem in den kleinen Städten, wieder zum
Hausbesitzer, zum Grundbesitzer und Ackerbürger machen,
der neben seinem eigentlichen Beruf etwas Landwirt-
schaft, Gartenbau, Viehzucht betreibt, seine Kuh im Stalle
hat, die selbstgebauten Kartoffeln und Rüben im Keller,
das selbstgebaute Getreide in der Scheune. Die Acker-
Wirtschaft soll dem Handwerker in den kleinen Städten
wieder das ruhige behagliche Leben sichern, das er etwa
noch vor dreißig oder vierzig Jahren dort gehabt hat;
sie soll ihm die notwendigsten Lebensbedürfnisse ver-
schaffen, während das Handwerk ihm den Notgroschen
oder, wie es im Sprichwort heißt, den goldnm Boden
liefern soll. Thatsächlich sind die Verhältnisse auch in
der Blütezeit des deutschen Handwerks so gewesen. Fast
jeder vollberechtigte Meister war damals Grund- und
Bodenbesitzer; die freie Benutzung des Gemeindelandes
und der Bodenertrag gaben ihm eine wirtschaftliche Sicher-
heit, eine dauernde materielle Grundlage für seine ganze
Familie. Diesen auf und auch von seiner Scholle leben-
den Handwerker preist auch Goethe in „Hermann und
Dorothea'- mit den Worten:

Heil dem Bürger des kleinen
Städtchens, welcher ländlich Gewerb mit Bürgergewerb paart!
Auf ihm liegt nicht der Druck, der ängstlich den Landmann

beschränkt;
Ihn verwirrt nicht die Sorge der vielbegehrenden Städter.

Von dem Augenblick, wo der kleine Meister diesen
Nebenerwerb aus seinem Grund und Boden verlor und
ganz allein von dem Ertrage seines Handwerks jedes
Ei, jede Kartoffel, jedes Liter Milch bar bezahlen musste,
fing die Misere an. Diesen sich beständig steigenden
Anforderungen an den pekuniären Reingewinn konnte
der kleine Handwerksbetrieb auf die Dauer nicht mehr
genügen. Die oft wenig besonnenen Änderungen in der

kleinstädtischen Gemeindeverwaltung, die Parzellirung
und der Verkauf des Gemeindelandes, der Gemeindeforsten,
die Beseitigung des Weideservituts und die durch Schul-
bauten u. s. w. hervorgerufene Verschuldung haben dem
handwerktreibenden Bürger außerordentlich geschadet.
Und man braucht gar nicht die Arbeitskraft der Dampf-
maschine und die Konkurrenz des Fabrikwesens ins Feld
zu führen, um sich den Niedergang des Handwerker-
standes, des eigentlichen Bürgerstandes in den kleinen
Städten zu erklären.

Wir können hier auf diese Verhältnisse, die wir an
anderer Stelle1) ausführlicher behandelt haben, nicht
näher eingehen. Die Bodenreformer haben nicht so un-
recht, wenn sie ausrufen: Der kleine Handwerker ist
nur dadurch zu retten, dass man ihm wieder sein eigenes
Häuschen verschafft, seinen Garten, seinen Acker und
auf dem Hofe Hühner und im Stalle Kuh und ein paar
Schweine! Neben diesen auf äußere Reformen gerichte-
ten Bestrebungen machen sich in den letzten Jahren
auch Versuche geltend, den Handwerkerstand innerlich,
d. h. seine allgemeine und seine Fachbildung zu lieben.
Man verlangt vom Handwerker, wenn er heutzutage sein
Gewerbe richtig ausfüllen will, ein gehöriges Maß kauf-
männischer Kenntnisse, ein richtiges Verständnis für alle
in sein Gewerbe schlagenden technischen Neuerungen
und Erfindungen, genaue Kenntnis aller Bezugsquellen
und Absatzstellen — kurz eine umfangreiche gründliche
Fachbildung, die weit über die gewöhnliche Volksschul-
bildung hinausgehen muss.

Würde diese Reform in der geistigen Bildung des
Handwerkerstandes schon außerordentlich dazu beitragen,
ihm die Konkurrenz mit der Großindustrie zu erleichtern,
ihm das alte bürgerliche Ansehen wieder zu verschaffen

1) Vergl. Grenzboten (1894) No. 2 „Handwerk und Acker-
bürgertum".

Vignette, gezeichnet von Julius Diu/., Manchen.

19*


 
Annotationen