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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 6.1895

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Groth, Ernst: Das Kunstgewerbe als Nährquelle für das Handwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.4566#0169

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DAS KUNSTGEWERBE ALS NÄHRQUELLE FÜR DAS HANDWERK.

Kopfleiste aus dem Schlosse in Würzburg. Zeichnung von II. Zeibi«.

und seinen Einfluss auf unsere kommunalen und staat-
lichen Verhältnisse zu sichern, so giebt es doch noch ein
anderes Gebiet, durch dessen Pflege einem großen Teil
des Handwerks neue unbestrittene Quellen des Erwerbs,
der inneren und äußeren Hebung erstehen, das ist das
Kunstgewerbe.

Handwerk und Kunst sind im Grunde keine Gegen-
sätze; denn jeder Handwerker, der nicht mechanisch nach
einer Schablone arbeitet, der für eine Idee die richtige
schöne Form selbst findet und darstellt, ist in gewissem
Sinne ein Künstler; und jeder Künstler muss andererseits
in der äußeren Handhabung, in der Technik seiner Kunst
in gewissem Sinne auch Handwerker sein. Und wie der
Baumeister, der Maler, der Bildhauer, der Musiker ohne
selbständige Ideen, ohne eigene schöpferische Phantasie
im besten Falle auf seinem Gebiete ein Virtuose aber
kein echter Künstler werden kann, so bleibt auch der
Handwerker ohne den produktiven künstlerischen Zug
nur eine zehiifingerige Arbeitskraft, ein Diener des toten
Materials, ein Sklave der urteilslosen und oft sinnlosen
Nachahmung. Der Handwerker, der seiner Arbeit nicht
die eigene Individualität, den eigenen Geist und Willen
aufprägt, steht in seiner Arbeitsleistung nicht höher als
die Maschine. Ja, er steht damit noch niedriger als die
Maschine; denn die Maschine verkörpert den höchsten
Grad der Virtuosität. An Schnelligkeit, Genauigkeit.
Gleichmäßigkeit und Feinheit kann es kein Handwerker
mit ihr aufnehmen. Der biedre Handwerker, der sicli
unverzagt auf eine Konkurrenz mit der Maschine ein-
ließe, wurde dasselbe klägliche Schauspiel bieten, wie
eine alte Postkutsche, die mit einem Schnellzug um die
Wette führe. Der moderne Handwerker darf also nicht
dort anfangen, wo auch die Maschine mit ihrer Arbeit
anfängt, sondern erst dort, wo die Maschine nicht mehr
weiter kann, wo ihre Leistungsfähigkeit aufhört: d. h.

er muss mit seiner frischen produktiven Arbeitskraft an
der Stelle einsetzen, wo der denkende Geist, der künst-
lerische Sinn, die kunstgeübte Hand wieder in ihre alten
Kochte treten. Das Handwerk darf nicht mehr weder
der Konkurrent noch der Sklave der Maschine sein,
wenn es seine hohe wirtschaftliche und kulturgeschicht-
liche Bedeutung wieder erlangen will. Es muss die
Maschine zu seinem Sklaven machen, es muss ihr die
mühevolle, zeitraubende, mechanische Arbeit überlassen,
die früher vom Handwerk selbst geleistet werden inusste;
es muss seine durch diese Arbeitsteilung frei werdenden
Kräfte zu höheren und künstlerischen Zwecken gebrauchen.
„Wollt ihr den Menschen, den Arbeiter, den Handwerker
vom gewissen Untergange retten", so ruft der große Päda-
goge Fröbel aus, „dann müsst ihr ihn über die Dampfkraft,
über die Maschinen erheben, sonst unterliegt er ihnen."

In der That tritt in den technischen Gewerben
immermehr eine scharfe Trennung zwischen mechanisch
arbeitenden und künstlerisch schaffenden Handwerkern
ein, und es unterliegt keinem Zweifel, dass es in Zu-
kunft nur noch Maschinen mit rein mechanisch thätigen
Lohnarbeitern, den Fabrik- und Industriearbeitern geben
wird und auf der anderen Seite Kunsthandwerker mit
Maschinen. Jedes Zwischenglied wird auf die Dauer
lehensunfähig. Höchstens kann sich noch in einigen
Zweigen das Gewerbe der Reparaturhandwerker behaupten,
zu denen auch die mit bloßem Anschlagen beschäftigten
Bauhandwerker gehören.

Wir sehen also, dass das Kunstgewerbe der sichere
Hafen ist des im Sturm der Zeiten schwer bedrohten
Handwerks. Im Hafen der Kunst kann es sich neu
rüsten zu dem neuen Kurse, der ihm durch die Maschinen
und die ganze wirtschaftliche Entwicklung des neun-
zehnten Jahrhunderts aufgezwungen ist. Auf dieser
neuen durch den künstlerischen Geist gelenkten Fahrt
 
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