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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 6.1895

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Groth, Ernst: Das Kunstgewerbe als Nährquelle für das Handwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.4566#0170

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DAS KÜNSTGEWERBE ALS NÄHRQUELLE FÜR DAS HANDWERK.

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kann dem Handwerk keine mechanische Kraft mehr Kon-
kurrenz machen, denn es benutzt ihre Arbeit selbst,
ergänzt und vervollkommnet sie und fuhrt sie mit Hilfe
der Kunst noch weiter.

Was Schiller von der "Wissenschaft sagt, gilt auch
von der Kunst:

Einem ist sie die hohe, himmlische Göttin, dem andern
Eine tüchtige Kuh, die ihn mit Butter versorgt.

Und diese praktische Seite der Kunstpflege wird
für den Handwerker in erster Linie in Frage kommen.
Solange also die Künste noch lebensfähig sind, solange
wird es auch das höhere Handwerk bleiben. Die düstern
Kassandrarufe von der Auflösung des Handwerks und
seiner allmähligen Absorption durch das Fabrikwesen
sind also nicht ernst zu nehmen.

Es ist ja selbstverständlich, dass mit einer alten
überwundenen Kultur auch ihre Einrichtungen und manche
Gewerbe dahinsinken. So ist es seit jeher gewesen. Mit
der Einführung und Vervollkommnung der Feuerwaffen
schwanden die Ritterpanzer dahin und mit ihnen die
ganze, blühende Plattuerzunft, die in Nürnberg noch im
Jahre 1605 so bedeutend war, dass sie, wie Bruno Bücher
in seiner „Geschichte der technischen Künste" (Band III,
S. 12) berichtet, dein deutschen Kaiser in drei Monaten
400 Schilde und 400 ungarische Panzerhauben liefern
konnte. Das Aufblühen der Glas-, Thon- und Porzellan-
industrie war der Tod der blühenden Zinngießerzunft.
Und so hat auch die Maschine in unserm Jahrhundert

manche rein mechanisch arbeitenden Handwerke und selb-
ständigen Kleinbetriebe überflüssig gemacht, z. B. das
der Knopfmacher, Nagelschmiede, Leineweber, Büchsen-
macher, Schwertfeger u. s. w. Eine interessante Statistik
über das Schwinden derartiger lebensfähiger Kleinbe-
triebe und auf der andern Seite über das allmähliche Auf-
blühen des auf Kunstfertigkeit beruhenden höheren Hand-
werks hat der vor wenigen Wochen verstorbene Reichs-
gerichtsrat Otto Bahr in der dritten Nummer des Grenz-
boten von diesem Jahre gegeben.

Der Wahlspruch für unsere technischen Handwerker
muss also lauten: Möglichste Ausnutzung der Maschine
zur Arbeit aus dem Rohen, dann aber selbständige, keine
schablonenmäßige, sondern auf tüchtigen Fachkenntnissen
und künstlerischer Auffassung beruhende Arbeit. Die
Scheidewand zwischen Handwerksarbeit und künstlerischer
Leistung muss fallen. Handwerk und Kunst müssen
wieder Hand in Hand gehen. Die Kunst muss dem
schwerfälligen Bruder wieder die Flügel geben, mit denen
er sich emporschwingen kann, die ihm aber durch die
wirtschaftliche Entwicklung einer neuen Kulturperiode
beschnitten oder versengt worden sind. In dieser Ver-
bindung liegt das Heil und die Zukunft des technischen
Handwerks, der Schlosserei und Tischlerei, der Textil-
kunst und Keramik, der Buchbinderei und Lederarbeit,
der Drechslerei, Malerei und Goldschmiedekunst u. s. w.
Ohne diese Verbindung laufen die meisten Kleinbetriebe
Gefahr, durch das Fabrikwesen im besten Falle in bloße
Reparaturwerkstätten hinabgedrückt zu werden.

Entwurf zu einer Mouumenteiufassuiig vuu H. DACHSELT in Tliaraudt.
 
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